Peter Stäubli heisst der Protagonist der dreibändigen Lebenssaga, die Walter Alvares Keller (1908-1965), aufgewachsen in Wollishofen an der Hoffnungsstrasse, in den 1950er Jahren verfasste und veröffentlichte.* Peter Stäubli: das ist das Pseudonym des Verfassers selber, die Trilogie ein autobiografischer Wurf.
Für Wollishofen interessant ist vor allem der erste Band, und da vor allem die Teile eins und zwei, die die Jahre bis zum Abschluss der Sekundarschule enthalten. Keller selber heisst im Roman Peter Stäubli, Wollishofen wird Läugelhofen genannt, sein Elternhaus «Zur Hoffnung» heisst «Zur Treu», und auch sonst dürften viele Namen ausgewechselt sein: des Pfarrers, des Metzgers, wohl auch der Lehrer, der Nachbarn, des Försters und anderer Akteure. Vieles im Roman, der als «Jugendroman» eingestuft wird, ist aber authentisch. Vater Stäubli ist Schuhmacher, wie Vater Adolf Keller, beide sind zünftige Ehrenmänner und gutbürgerliche Zeitgenossen. Das Elternhaus steht im Gebiet Im Lee, liegt auf einer Anhöhe beim See, nahe bei Schulhäusern und Kirche. Im Nachbarhaus, einem parallel liegenden Bauernhaus, wohnt ein Wagner usw. usf. – Kein Zweifel: Läugelhofen ist das bäuerlich anmutende, klein- und vorstädtische Wollishofen, das sich anfangs des 20. Jahrhunderts nur langsam an ein städtisches Leben mit Anschluss an die grossen Entwicklungen der Weltwirtschaft gewöhnt. Es ist das Wollishofen, das Keller selber erlebt hat, in dem er gross geworden ist.
«Gottes weisser Mantelsaum» ist aber nicht einfach eine Schilderung einer idealtypischen dörflichen Idylle vor den Toren der Stadt. Es ist ein Roman mit viel Persönlichem. Peter Stäubli ist nicht einfach der Wollishofer Bub, sondern ein ganz spezieller. Einer, der den Lausbuben nicht nur als Kindergärtner und Volksschüler auslebte, sondern Anlagen dazu hatte, das ganze Leben mit Keckheit anzugehen, die Wahrheit nicht zu scheuen, für jede Autorität eine Begründung zu fordern und generell Gerechtigkeit zu erwarten, und dort, wo sie verletzt wurde, mit Kritik nicht zurückzuhalten. Wieviel von diesen Eigenschaften der reale Walter besass, kann der Leser schliesslich nicht beurteilen. Wenn auch einige der Geschichten vielleicht nicht wahr sind, so sind sie doch für die Geschichte, die uns erzählt wird, gut erfunden. Eine zentrale Rolle spielt eine gezähmte Krähe, die Peter vom Entlisbergkopf beschafft und heimbringt. In der Anthropomorphie des «Schaagi» – so heisst die Krähe – ist viel von dem versteckt, was auch für Peter gilt. Eine erste gemeinsame Zeit ist reinste Freude, doch die Probleme, in die sich das Couple zusehends verstrickt, werden unlösbar. Sie enden mit «Verrat» – Verrat am Freund, Verrat für Geld, vielleicht auf Verrat am Menschen, jedenfalls Verlust der sorgenfreien Kindheit.
Die Individualität des Peter Stäubli wird im Roman in eine möglichst reale Schilderung von Wollishofen in seiner Jugendzeit eingepasst. Das trifft sicher auf die Verhältnisse in Familie und Nachbarschaft zu, sicher aber auch, was die Schule betrifft. Die Lehrer mögen zwar anders geheissen haben, aber die Charaktere, die Keller beschreibt, sind Realität gewesen. Und die Dynamik in Schulklassen trifft der Roman sicher auch; es ist anzunehmen, dass sich auch in der Schule der Wandel vom Bauerndorf zum Vorstadtquartier zeigt. Keller sinniert dazu: «Zu jener Zeit setzte sich die Läugelhofer Schuljugend hauptsächlich aus Kindern der Arbeiter, kleinbürgerlicher Gewerbetreibender und einiger Bauern zusammen, ein Gemisch also, mit dem zur Schule zu gehen es keine reine Freude ist für Kinder höherer Gesellschaftsklassen – es wäre denn, sie machten sämtliche Streiche der anderen Schlingel mit.» Soziale Dynamik, vor allem Klassengegensätze, sind bei Keller in verschiedenen Facetten wichtig. Auch etwa, wenn er die Parteilichkeit des mit dem «Meerrohr» bewehrten «Pädagogen» umreisst, und den Mitschüler «Hans» als Sohn einer Arbeiterwitwe, die in der Seidenweberei arbeitete, als «gerade ideales Prügelobjekt» bezeichnet.
Keller hatte als Schriftsteller in den 1950er und 60er Jahren einigen Erfolg. Sein politisches Engagement bei den Sozialdemokraten – er war von 1951 bis zu seinem Tod Mitglied des Gemeinderates – hat ihm dabei wohl eher genutzt als geschadet. Viele seiner Texte erschienen zuerst in Zeitungen, bevor sie in Buchform erschienen. So zum Beispiel in der «Tat» (siehe Bild). Auch die bürgerliche NZZ jener Zeit besprach mehrfach neue Bücher von ihm – dies allerdings wohl dadurch befeuert, dass sich Keller in seiner Fraktion oft sehr eigenständig verhielt und auch gegen die Fraktionsmeinung plädieren und abstimmen konnte. Vor allem sein heimatschützerischer Einsatz für den Erhalt der Vorderberghäuser in Fluntern im Jahre 1963 – die Fraktion war gegen das Geschäft aufgetreten – brachte ihm den Ruf eines «kritischen Sozialdemokraten» ein. Sein früher Tod wurde deshalb über die Parteigrenzen hinweg bedauert.
In Wollishofen erinnern heute zwei Tafeln an Walter Alvares Keller. Einmal die blaue Denkmalschutztafel an der Hoffnungsstrasse 7, dann aber vor allem die nur ihm gewidmete Gedenktafel an seinem langjährigen Wohnhaus an der Heinrich Federer-Strasse 6. Die NZZ schrieb diesbezüglich am 5. September 1966:
«Zum Andenken an Walter Alvares Keller wurde nun an dem Haus in Wollishofen, in dem er zwanzig Jahre gelebt hat, eine Gedenktafel eingeweiht. Wo sich die stille Heinrich Federer-Straße zu einem birkenumstandenen Plätzchen weitet, fand sich am Samstagvormittag eine große Gemeinde von Verehrern, Schriftstellern und Behördemitgliedern zu einer schlichten Feier ein, die vom Stadtposaunenchor Zürich musikalisch umrahmt wurde.»
Sogar der freisinnige Dr. Emil Landolt, damals bereits «alt Stadtpräsident», gab sich die Ehre und hielt in Erinnerung an den Verstorbenen ein kleines Freundschaftswort.
(SB)
* Walter Alvares Keller. Der weisse Mantelsaum (1957), Neuer Titel (1993): Gottes weisser Mantelsaum; Peter Stäubli in Brasilien (1959); Peter Stäubli - was nun? (1961).
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