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AutorenbildSebastian Brändli

STAUB'SCHES IMPERIUM

Aktualisiert: vor 2 Tagen

Die Wollishofer Familie Staub war in den Blogbeiträgen auf Wollipedia schon mehrfach Thema. Vor allem im Beitrag VOM HONRAIN ZUM HORN wurde ein kleines Porträt eingefügt, und in den SCHÖNEN BRIEFEN präsentierte ich einen Brief an «Baumeister und Gemeindepräsident Jakob Staub».


Was macht die Familie so besonders? Weshalb erhält sie nun sogar nochmals einen eigenen Beitrag? Es gibt Figuren in der Geschichte, deren Wirken und Leben besonders in ihre Umwelt, in die Welt, in die sie hineingeboren wurden, passt. Und das scheint mir bei den drei Generationen der Familie Staub, die im 19. Jahrhundert lebten und wirkten, eben besonders der Fall zu sein.


Erste Wollishofer Generation: Baumeister Hans Ulrich Staub


Es war der Maurer und Baumeister Hans Ulrich Staub aus Thalwil, 1780 geboren, der 1814 als über 30jähriger seine Wirkungsstätte näher zur Stadt bringen wollte, und dazu in der Stadt Zürich und später in der Gemeinde Wollishofen sich um das Bürgerrecht bewarb. Seine Wohnstätte schlug er in Wollishofen auf, eben im Hof Honrain, den er von der Familie des alt-Untervogts Weber gekauft hatte. Das war erstens ein stattlicher Hof, zweitens stadtnah, hart an der Grenze zur Enge, und drittens ein Gebiet mit wirtschaftlichem Potential – am See gelegen, mit Umschwung, mit der Aussicht auf Erweiterung des Terrains durch Aufschüttungen.


Weshalb der Thalwiler zwei neue Bürgerrechte erwerben wollte, ist nirgends festgehalten. Das Stadtbürgerrecht war insofern attraktiv, als dass es erst seit 1803 wieder möglich war, dasselbe zu erwerben (nachdem es seit 1650 «geschlossen» war). Natürlich war das Bürgerrecht der Stadt nicht mehr dasselbe wie im Ancien Régime, vor 1798, als die Stadt noch die Herrschaft über das Land ausübte. Aber schaden konnte es ja nicht, mit den begüterten Stadtbürgern als Bürger gleichzuziehen. Zudem war der Baumeister auf grosse Bauaufträge auf Stadtgebiet aus, wozu – hat sich Staub wohl gedacht – die Zugehörigkeit zur Stadt keine schlechte Empfehlung dargestellt haben dürfte. Das Wollishofer Bürgerrecht ergab sich in der alten Logik aus dem Kauf des Honrains. Und auch da dürfte sich der Geschäftsmann wirtschaftlichen Erfolg erhofft haben.


In den Thalwiler Akten kommt Ulrich Staub als Säckelmeister und/oder als Maurermeister zum Vorschein. Auch in Wollishofen galt der Thalwiler Finanzvorstand noch viel, auch hier braucht man als Anrede den Begriff Säckelmeister, später hiess es auch «Staub, Baugeschäft». Doch der gelernte Beruf steckte keineswegs die Grenzen des beruflichen Engagements ab. Staub war ein echter Unternehmer! Das zeigte nicht nur seine Flexibiltät bei der Wohnsitznahme, das zeigten auch seine Unternehmungen. Nur schon die Liste seiner Bauwerke dürfte lang sein, auch wenn wir – mangels eines auf uns gekommenen Archivs* – kein vollständiges Bild seines Wirkens haben. Sein Engagement beim Bau der Münsterbrücke in Zürich und bei der Neugestaltung des Umfeldes dieser neuen Verkehrsverbindung war gross. Eindeutig zuschreiben können wir ihm die Gesamt-Sanierung des sog. Wettingerhauses zwischen Grossmünster und heutigem Limmatquai. Dazu schrieb die NZZ 1963: «1840 gab Maurermeister Ulrich Staub den Wettingerhäusern ihre neue Form.» Er war aber auch an anderen Grossprojekten beteiligt, etwa beim Bau des Escher'schen Belvoir-Palais und des neuen Postgebäudes 1837 an der heutigen Poststrasse (beim Paradeplatz).


In Wollishofen selber ist die Quellenlage etwas komplizierter. Es gibt zwar zahlreiche Hinweise auf architektonische Unternehmen, aber ein Gesamtbild will sich nicht recht einstellen. Bekannt ist, dass Staub das 1827 eröffnete Schulhaus gebaut hat. Für sein Geschäft war wichtig, dass sich mit der Neuordnung des Kantons Zürich, unter dem Druck des französischen Empereur Napoleon I, auch Niederlassungsfreiheit, mindestens von Zürchern im Kanton Zürich, ergab, und dass auch die Bautätigkeit in den Gemeinden freier war als zuvor. Staub selber dürfte von diesen liberaleren Verhältnissen profitiert haben – vor 1803 bzw. vor 1798 wäre eine intensivere Bautätigkeit gar nicht legal gewesen. Kurz nach Einzug Staubs nach Wollishofen finden wir jährlich wiederkehrend Inserate in der damaligen Zürcher Presse für neue Wohnungen in unserem Gebiet. So heisst es etwa 1818 im Zürcher Wochenblatt:  «Zwey schöne lustige Wohnungen, mit der schönsten Aussicht auf den See und Landstraß, und bequemen Platz, und können mit nächst kommenden Ostern in Besitz genohmen werden bey Ulrich Staub, Maurermeister in Wollishofen.» Solche Inserate gab es jährlich 1817-1819; es ist zwar nicht sicher, dass Staub jährlich neue Wohnungen errichtete, aber möglich wäre es schon. Eines dieser neuen Häuser war im Haumesser, heutige Haumesserstrasse 14, errichtet 1814. Im Wochenblatt 1823 heisst es dann, es sei «eine schöne Wohnung auf einem Boden» zu mieten – Staub war offensichtlich vom Bau bäuerlicher Mehrfamilienhäuser zum Modell Miethaus mit mehreren Etagen übergegangen. Welches Haus damit angepriesen wurde, entzieht sich unserer Kenntnis.


Der «Hof» war ein stattliches Herrenhaus, oft «Hof Honrain» oder auch «Hof Wollishofen» genannt. Um 1845 war das Areal mit industriellen Bauten überstellt: eine Färberei «Rotfarb» und eine Kattundruckerei – textile Industrie vom Feinsten – dicht neben Herrenhaus (links), symmetrischer Gartenanlage und klassizistischem Kubus, erbaut 1835 (Stauber, Tafel 14).


Sein eigenes Areal überbaute Hans Ulrich Staub vergleichsweise dicht. 1814 hatte er ein herrschaftlich-bäuerliches Anwesen übernommen, wohl noch mit einem neben dem Herrenhaus stehenden bäuerlichen Fachwerkhaus, einem Lehenhaus, ergänzt. Dazu gehörte ein grosser Garten, und bäuerliches Pflanzland. Dieser Umschwung, ergänzt durch See-Aufschüttungen, gestaltete Staub zu einem imposanten industriellen Quartier um, mit mehreren Fabrikgebäuden wie Rotfärberei und Kattundruckerei. Zum Komplex, aber ausserhalb seines angestammten Areals, gehörten auch zwei «Hütten» im Gebiet der heutigen Savera-Wiese – vor allem die Ziegelhütte, wo Ziegel für den lokalen Bedarf der Gemeinde hergestellt wurden.


Ziegelhütte – gemalt anlässlich der Seegfrörni 1880. Caspar Burkhard (Stauber, Tafel 24).


Zu melden ist leider auch ein Unglück. «In der Nacht vom 4. auf den 5. Juni 1825 brach in dem Fabrikgebäude des Herrn Säckelmeisters Staub Feuer aus. Dasselbe griff mit einer solchen Geschwindigkeit um sich, dass innert 30 Minuten der Dachstuhl verbrannt zusammenstürzte und das Gebäude bis auf den Grund abbrannte», kann im Protokoll des Gemeinderates Wollishofen nachgelesen werden (zit. nach Meier/Winkler, S. 82). Es war das «Farbhaus» mit der Tröcknerstube. Offenbar hatten sich die in Öl getränkten Tücher selber entzündet. Zum Brandort strömten zahlreiche Feuerwehren, insbesondere jene von der Enge, und einer sogar von Wädenswil!


Interessant ist der Einfluss auf die Dorfbevölkerung, welcher von dieser frühen Industrie ausging: War die Bevölkerung von Wollishofen im Ancien Régime bis an die Wende um 1800 noch vornehmlich bäuerlich, allerdings ergänzt mit Hausindustrie, die vor allem im Seidengewerbe von Mitgliedern bäuerlicher Familien getätigt wurde, brachten die Fabriken Staubs neue Mitarbeiter ins Dorf, die teils von weit her nach Wollishofen kamen. So findet sich etwa in Haus Nr. 13 Rudolf Bryner, der als «Cotton Drucker», also als Facharbeiter in der Druckerei, bezeichnet wurde; ab 1840 wurde Bryner gar als «Cotton Druckermeister» betitelt – ein Aufstieg (mehr Lohn erhielt er deswegen aber wohl nicht, sein Steuerbetrag, den er zu leisten hatte, blieb mit 6 Batzen jedenfalls gleich). Ähnlich ist Heinrich Bosshard einzustufen, der in der gleichen Funktion 4 Batzen zahlte. Am wenigsten verdiente die Druckerin Anna Weinmann, sie bezahlte nur 2 Batzen Steuern. Von weither kam ein anderer Facharbeiter: Friedrich Fleckner, der seit den 1830er Jahren Steuern bezahlte, war Färber – natürlich in der «Rothfarb» von Staub. Sein Sohn Friedrich Wilhelm blieb in Wollishofen und heiratete Anna Johanna Bär von Richterswil, auch er ein Färber; mehrere Kinder erreichten das Erwachsenenalter. Auch diese Enkel blieben hier, so vor allem der erstgeborene, der Bäcker in Wollishofen wurde. Im Laufe des 19. Jahrhunderts scheint so Wollishofen als Arbeitsort an Attraktivität gewonnen zu haben; viele der Neuzugezogenen integrierten sich und bürgerten sich ein. Nochmals entscheidend grösser wurde die Durchmischung dann gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als mit der Roten Fabrik und der Fensterfabrik grössere Belegschaften mit Wohn- und Arbeitsort Wollishofen entstanden.


Zweite, dritte und vierte Generation

 

Hans Ulrich Staub war verheiratet mit Susanne Baumann von Thalwil. Die beiden waren auch familiär ein fruchtbares Team: Fünf Söhne wurden erwachsen sowie drei Töchter, daneben gab es mehrere Schwangerschaften mit Geburten, deren Kinder früh verstarben. Im expandierenden Imperium des Vaters fanden die fähigen Söhne ihren Platz: im Bauwesen waren es drei – ein Maurer, ein Steinmetz und ein Zimmermeister, im väterlichen Textilgewerbe zwei – der eine übernahm die Färberei, der andere die Druckerei. Einer von ihnen, Jakob, übernahm den Hof und den «Gwerb» – die bäuerliche Wirtschaft, die im grossen Areal trotz der gewerblichen und industriellen Bauten noch immer Platz hatte. Die weiteren Söhne und die Töchter verheirateten sich und zogen aus, teils kehrten sie zurück nach Thalwil – vor allem die Töchter –, teils wechselten sie näher zur Stadt, in die Enge. Jakob, der Maurer und Bauer, heiratete Regula Aschmann. Von fünf bekannten Geburten kamen zwei Kinder bis ins Erwachsenenalter: Jakob (jun.) und Bertha. Der 1813 geborene Jakob starb vergleichsweise früh (1864), seine Frau blieb im Hof, den Betrieb übernahm aber Sohn Jakob jun. (1837-1892). Er trat in die Fussstapfen von Vater und Grossvater als Unternehmer, vor allem als Baumeister. Er heiratete Caroline Syfrig (1820-1895), sie blieben aber ohne Kinder. Jakob war ein umgänglicher Mensch, er trat für die Öffentlichkeit ein und wurde bald Gemeindepräsident. Nach seinem Tod erhielt Jakob Staub in der Kirche Wollishofen eine steinerne Gedenktafel!


Jakob Staub, 1837-1892, Enkel des Firmengründers, Baumeister und langjähriger Gemeindepräsident (1868-77). Aus: Zürcher Chronik 1906.


Jakob starb relativ früh, und eben kinderlos. So übernahm Schwester Bertha, die Adolf Brunner – auch er Baumeister – geheiratet hatte, den Hof. Erst nach ihrem Tod erfolgte eine echte erste Erbteilung des Vermächtnisses des umtriebigen Grossvaters, dem Gründer des Imperiums. Das zeigt sich etwa beim «Kubus», dem klassizistischen Palais, das Hans Ulrich Staub an der Seestrasse 279 für seine Söhne erstellt hatte. Es wurde 1949 von einer grossen Erbengemeinschaft an zwei vermögende Freundinnen verkauft, an:  

-       Elsa Indermaur-Gut, *1904, Ehefrau von Max Indermaur, *1901, Rechtsanwalt

-       Marie-Lotti Baumann-Ulrich, *1912, Ehefrau von Kaufmann Arthur Baumann, *1899


Die Verkäufer in der Erbengemeinschaft hiessen kaum mehr Staub und wohnten bereits über die ganze Welt verstreut!

o   Erben Max Müller-Koller, geb. 1875, wohnhaft Kraftstrasse 29

Witwe Luise Müller-Koller

Sohn Hartmann Müller, geb. 1880

o   Hartmann Müller, Seestrasse 135

o   Erben des Werner Schmid-Staub, geb. 1874, Bellariastrasse 51

Witwe Luise Schmid-Staub

Werner Schmid, England

Hartmann Schmid, Rüschlikon

Ursula Wening-Schmid, Klosterweg 28 Zürich

Verena Zäch-Schmid, Bellariastr. 51

o   Ulrike Luise Hanhart, in Männedorf und Walter Oskar Hanhart, Riehen b. Basel

Heute ist der Kubus im Besitz der Erben von Marie-Lotti Baumann-Ulrich.


Zwar wurde durch Aufteilung des industriellen Komplexes von Hans Ulrich Staub unter die Söhne auch das Imperium auseinandergenommen. Doch die verschiedenen Nachkommen waren – offensichtlich – auch gute Wirtschafter: sie führten ihre Betriebe weiter, gaben ihnen neue Namen oder gingen neue Partnerschaften ein. So war der Ehemann von Bertha Staub, Adolf Brunner, Gründungsfigur der grossen Zürcher Traditionsfirma im Bauwesen «Brunner & Cie.»; sie wurde erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts aufgelöst. Und andere Nachkommen führten lange Zeit sogar den Namen Staub weiter, indem eine Firma über Jahrzehnte «Müller-Staub» hiess, später «Müller-Staub Söhne». Diese Spätwirkungen von Staubs Imperium dehnten sich zwar weit über Wollishofen hinaus aus, aber ihr Kern war über lange Zeit das feudale Anwesen «Hof Wollishofen» bzw. «Hof Honrain», das allerdings durch den Bau der linksufrigen Seebahn 1875 um die eigentlichen Industrie-Bauten amputiert wurden: die Gebäude der Kattundruckerei und der Rotfärberei wurden damals abgebrochen!



Sebastian Brändli


 

* Ein Staubscher Nachlass existiert meines Wissens nicht. Emil Stauber, der Autor der Wollishofer Chronik (1926), kannte die Promotoren der Generationen 1 bis 3 nicht mehr. Seine ansehnlichen Recherchen hat er sicherlich bei Conrad Escher, bei Vertretern der Familie seiner Generation sowie bei alten Wollishofern, die die Staubs noch kannten, durchgeführt (Stauber, S. 56). Der wichtigste erhaltene Zeuge für die Baukunst von Ulrich Staub ist der Kubus, heute als Seestrasse 279 im Besitz der Geschwister Baumann, deren Grossmutter die eine Käuferin 1949 war. Das klassizistische Gebäude ist in vielerlei Hinsicht zwar verändert, im Grundsatz – v.a. im geräumigen Weinkeller, in den Parkettböden der Wohnungen, im Garten mit der Blutbuche und vielem mehr – ist die alt-zürcherische Baukultur aber noch gut erhalten.



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