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ZUSATZBLOG: GEGEN DEN EIGNEN WILLEN

Aktualisiert: 23. Aug. 2021

Der nächste reguläre Blog folgt am kommenden Freitag («SCHWUNGVOLL: DIE ALBISSTRASSE»). Doch Rückfragen zum letzten Blog «WOLLISHOFEN – EINE STADT» haben mich veranlasst, ein paar Ausführungen zur Geschichte von Wollishofens Eingemeindung 1891 zu notieren. Ein regulärer Blog zu diesem Thema ist für später vorgesehen. Hier eine Skizze.


Gegen den eigenen Willen eingemeindet

«bekanntlich gegen ihren Willen». Dieser kleine Einschub im ersten Satz des letzten Blogs hat aufmerksame Leser*innen irritiert. Dazu zuerst das Faktum: Die Vorlage für die Eingemeindung von elf Vorortsgemeinden zu Zürich im Jahre 1891 wurde von den direkt Betroffenen – von der Stadt und den 11 Gemeinden – zwar mehrheitlich angenommen, zwei Gemeinden lehnten indessen ab: die Enge nur knapp (mit 453 Nein zu 448 Ja), Wollishofen aber massiv (256 Nein zu 124 Ja). Zürich selber stimmte der Vorlage mit 2535 Ja gegenüber 1731 Nein relativ deutlich zu. Die übrigen Vorortsgemeinden stimmten ebenfalls zu mit unterschiedlichen Mehrheiten, am deutlichsten war die Zustimmung in Aussersihl mit 4440 Ja gegen 43 Nein.


Das führt heutige Leser*innen zur Frage: Wie konnte das sein, dass eine direkt betroffene Gemeinde sich in der Abstimmung gegen das Projekt aussprach? Die Antwort ist einfach: Es gab vorgängig keine lokale Abstimmung in den betroffenen Gemeinden, auch keine konsultative. Es war der Kanton, der aufgrund einer Bittschrift von Aussersihl eine Vorlage erarbeitete, die just 11 Gemeinden ins Projekt involvierte. Der Kantonsrat segnete die Vorlage ab, und in der Volks-abstimmung galten nicht die Resultate der Gemeinden, sondern – wie in einer kantonalen Vorlage selbstverständlich richtig – das kantonale Resultat.



Neue Zürcher Zeitung vom 15. September 1891. Ausschnitt S. 2.



Wollishofen gab nach verlorener Abstimmung nicht auf - wenn auch die entscheidende Gemeinde-versammlung nur mit knapper Mehrheit für eine Beschwerde an Bundesgericht eintrat. Doch auch hier galt: Die Mehrheit hat Recht. Und so schickte Wollishofen eine staatsrechtliche Beschwerde nach Lausanne. Das höchste Schweizer Gericht schützte in der Folge das kantonale Vorgehen und wies die Beschwerde ab. Wenn es nach dem Zürcher Regierungsrat gegangen wäre, hätte Wollishofen für das Wahrnehmen seines Rechts auf staatsrechtliche Überprüfung sogar bestraft werden sollen; er bezichtigte die Gemeinde der «Trölerei». Soweit ging das Bundesgericht nicht, aber dennoch war dessen Urteil für Wollishofen eine schmerzliche Niederlage; die von der Mehrheit gewünschte kommunale Selbständigkeit musste aufgegeben werden.


Demokratiedefizit

Bis heute beurteilen Historiker*innen die Auseinandersetzung unterschiedlich. So schrieb Jakob Knecht 1951: «Wollishofen war damals noch eine durchaus ländliche Gemeinde. Es sah nicht ein, warum es mit der Stadt vereinigt werden sollte.» Dagegen meint das Historische Lexikon lapidar: «In der kantonalen Volksabstimmung von 1891 lehnte Wollishofen als reiche Vorortsgemeinde die Vereinigung mit der Stadt Zürich mit 66% Neinstimmen ab, während der Kanton die Vorlage annahm», womit angedeutet wird, die Gemeinde habe die Eingemeindung allein aus finanziellen Gründen abgelehnt. Wer Recht hat, ist schwer zu entscheiden. Demokratische Entscheide müssen bekanntlich nicht begründet werden – es gilt die Mehrheit.


Das Demokratiedefizit des damaligen Vorgehens ist aber nicht zu leugnen. Die Geschichte hat deshalb der Wollishofer Kritik letztlich Recht gegeben, indem das damals vom Kanton angewandte Verfahren später und bis heute keine Anwendung mehr fand. Zwangsvereinigungen haben heute – nicht nur in Zürich – politisch keine Chance mehr. (SB)

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