QUARTIERPLANUNG EINGEKLEMMT
- Sebastian Brändli

- vor 2 Tagen
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Aktualisiert: vor 1 Tag
(EINGEKLEMMT ZWISCHEN BAHN UND STRASSE)
(auch Fortsetzung des Blogbeitrags MON REPOS)
Als Carolina Kienast als Ehefrau von Professor Wyss 1891 das Anwesen, das heute Cedernheim genannt wird, kaufte, wurde es ausdrücklich als Sommersitz bezeichnet. Das Ehepaar Wyss-Kienast folgte also der Tradition des städtischen Landsitzes – eines schönen Anwesens mit Garten, um die heissen Monate vor der Stadt im Grünen zu verbringen. Das couple hätte das an sich nicht nötig gehabt, gehörte ihnen doch auch Seefeldstrasse 27, wo der Herr Doktor weiterhin neben der Universität privat medizinisch praktizierte, und wo man es sich eben im Winter in einem besser heizbaren Bau gemütlich machte. Als Wyss 1910 an der Universität emeritiert wurde, zog er sich ganzjährig an die Kilchbergstrasse zurück, und überliess seine Stadtvilla mit Praxis einem der zwei Söhne (beide waren inzwischen Ärzte geworden).
Nach dem Tod der Eltern wurde das Erbe an der Kilchbergstrasse zunächst in der Familie gehalten. Die beiden Söhne erhielten dabei «nur» Land, während die Tochter Alma das Land mit dem Haus übernahm; mit der Verheiratung Almas mit dem Musiker Oskar Thomas gehörte das Cedernheim – patrilinear gedacht – nun nicht mehr den Wyssen. Diese Konstellation änderte aber mit dem nächsten Generationenwechsel. Der brach mit der Tradition, indem die Familie Thomas-Wyss ihren Teil hielt und weiter bewohnte, die anderen beiden Teile sollten aber entweder überbaut und damit in eigener Regie besser genutzt, oder aber verkauft werden.

Katasterplan mit eingefärbten Erbteilen (Ausschnitt). 1932. FA Wyss.
Cedernheim No 113 (rosa: O. Thomas), Scheunen No 98 und 100 (blau: H. O. Wyss)
Diese Entwicklung hatte sich insofern angekündigt, als die Stadtplanung – oder «Quartierentwicklung», wie sie schon damals genannt wurde – eine Erschliessung der Flächen zwischen Bahnlinie und Kilchbergstrasse mittels einer zusätzlichen Quartierstrasse vorsah. Auch hatte man bereits einen Namen gefunden für diese noch zu beschliessende: «Wiggisstrasse» hätte man sie nennen wollen. Doch diese Strasse hatte kein Glück. In den Akten des Stadtrates finden sich zwischen 1898 und 1940 zwar zahlreiche Ideen, wie eine Parallelstrasse zur Kilchbergstrasse den Abhang zum See baulich besser hätte erschliessen können. Im Bereich der Parzellen aus dem Erbe Wyss hätte die Strasse wohl sogar die Bahn unterfahren sollen. Doch vielleicht wurde dies dem Projekt letztlich zum Schicksal. Nach einem Gemeinderatsbeschluss von 1935 wurde das Projekt aufgegeben. Im Geschäftsbericht 1939 des Stadtrates heisst es, die «Baulinien Wiggisstraße zwischen See- und Kilchbergstraße» seien aufgehoben worden – das Todesurteil für eine Strasse!

Planskizze von 1947: die Wiggisstrasse existiert zwar nicht mehr, eingezeichnet ist aber dennoch eine Erschliessungsstrasse mit projektierten Einfamilienhäusern. Die heute noch stehende Scheune vis-à-vis des Ortsmuseums wäre abgerissen worden. Auch dieser Plan wurde nicht realisiert. FA Wyss.
Nach dem Kriegsende gab es noch andere Probleme: die Panzersperren. Schon die Generäle Napoleons wussten, dass man den Durchgang von Truppen in Wollishofen relativ leicht blockieren konnte. Auch im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurden hier deshalb Sperren errichtet. Man vergleiche auch den Blog-Beitrag WOLLISHOFER RIEGEL. Die Sperren im Garten des Cedernheims wurden 1948 beseitigt.

Panzersperren im Garten (um 1940), Fotoalbum Familie Thomas-Wyss.
Die heutige Überbauung des Gebietes wurde danach von den nicht (mehr) in Wollishofen residierenden Wyss-Erben nicht weiter vorangetrieben. Während die Familie Thomas-Wyss das Cedernheim mit immer noch besonders grossem Garten relativ unverändert beibehielt, verkauften die beiden männlichen Erben ihre Liegenschaften in der ersten Hälfte der 1950er Jahre. Das führt zu einer letzten Geschichte dieses Blog-Beitrags:
Abschied von Pächter Malzacher
Der Verkauf der Liegenschaften durch die Erben bedeutete Abschied von zahlreichen Traditionen. Eine war, dass der Pächter, der im Auftrag der Familie Wyss die zahlreichen Stücke Land betreute und für den Park, die weiteren Gärten und insbesondere auch für den Rebberg im «Chrieg» an der Kilchbergstrasse (Seeseite) zuständig war, nicht nur seiner Arbeit, sondern auch seiner Wohnung verlustig ging. Denn er wohnte seit Jahrzehnten in einer Wohnung, die man in der Scheune an der Widmerstrasse notdürftig eingerichtet hatte.
Für Pächter Malzacher, nicht mehr der jüngste, war der Verlust seiner Heimstätte ein schwerer Schlag. Er versuchte, sich sorgfältig zu wehren, das Mietamt gab ihm 1951 sogar noch Recht und gewährte ihm einen Aufschub, doch den Verkauf der Liegenschaften konnte er nicht verhindern. Im Jahr 1953 bekam er dann die Nachricht, dass das «Land gegen Kilchberg zwischen Kilchbergstrasse und Bahn gelegen» habe verkauft werden können, «so dass [er] dafür keine Verantwortung mehr habe».
Des Pächters Antwort vom Juli 1953 ist erhalten, und zeigt die tiefe Betrübnis über den Gang der Dinge. Sie zeigt auch, in welch erbärmlichen Verhältnissen Malzacher mit seiner Frau Antonia in seiner Scheune gelebt haben muss, wenn er meint: «Was die Wohnung anbetrifft, muss ich mich strikt halten, das von der Feuerpolizei vorgeschriebene Wohnen. Die oberen Stockwerke dürfen überhaupt nicht benutzt werden, bloss der Einstellung der Möbel. Somit habe Küche für alles eingerichtet. Wasser haben wir in der Küche keines. Nur draussen am Brunnen müssen wir das Wasser in einen Kübel auffangen, das nur ganz minim läuft. In der Küche habe einen Ofen gesetzt. Auch war kein Aport [Abort, WC] vorhanden, sowie an der Küche keine Läden. Habe vieles repariert, um alles in Stand zu halten.»
Rudolf Malzacher-Lopez verliess die Widmerstrasse 5. Wohin er ging? Er blieb Wollishofen treu. Wir finden ihn später an der Albisstrasse 81. 1963 starb der «a. Gärtner», 84jährig; seine Antonia folgte ihm ein Jahr später, 1964.
Sebastian Brändli
Wie schon der Beitrag MON REPOS verdankt auch der vorliegende seine Existenz Pit Wyss, der als Chronist und Archivar seiner Wyss-Familie mir Zugang zu seinen Unterlagen ermöglichte. Vielen Dank!




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