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ENGGISTS FLACHDÄCHER

Aktualisiert: vor 5 Tagen

Flachdächer sind ein Zeichen moderner Architektur – obwohl diese Dachform im mediterranen Raum seit Urzeiten gängig ist.


Das Schrägdach wurde nicht zuletzt wegen besonderer Wetterverhältnisse erfunden, so vor allem, um Bauten vor Regen zu schützen – damit das Wasser ablaufen kann. Das Flachdach in unseren Breiten löst das Regenproblem anders, zeugt also von neuen architektonischen Möglichkeiten, von technologischer und ästhetischer Entwicklung, aber auch von transkulturellem Austausch.

 

Flachdächer waren einst ein architektonischer Stolperstein. Viele Menschen wehrten sich gegen die «noimödige Hüüser», manche Bauordnungen von Zürcher Gemeinden verboten Flachdächer – und tun es für gewisse Zonen noch heute. Flachdächer waren Ende der 1920er Jahre Zeichen moderner Architektur, des sog. neuen Bauens, auch Bauhaus-Stil genannt. In Wollishofen war die Genossenschaft Neubühl mit ihrer Siedlung an der Grenze zu Kilchberg das Bauwerk, das sich ganz dem Bauhaus verschrieben hatte, und eben auch die ersten Flachdächer – und lange Zeit zudem die einzigen – brachte. So sagt es jedenfalls die öffentliche Meinung. Das stimmt aber nur bedingt. Flachdächer hatten ja auch schon die Fabrikbauten, die um 1900 am See errichtet wurden, etwa die Rote Fabrik oder die Fensterfabrik Kiefer, darauf haben wir schon im Blogbeitrag AM BACH hingewiesen. Und das Alleinstellungsmerkmal Flachdach fürs Neubühl stimmt schon gar nicht. Ein schönes und instruktives Beispiel sind die Wohnblöcke an der Albisstrasse 153-161. Von diesen soll nun die Rede sein.

 

Flachdach-Wohnblöcke Bj 1931: Albisstrasse 153-161. zvg

 

Wer vom Wollishoferplatz gegen Adliswil fährt und die Widmerstrasse überquert, fährt an fünf markanten, quer zur Strasse stehenden Wohnblöcken vorbei. Bevor ich mich mit diesen beschäftigte, war ich davon ausgegangen, dass diese in den 1940er Jahren erbaut wurden – eben vom Stil her, von ihrem Zustand. Vor kurzem wurden einige der Blöcke neu renoviert, da sahen sie plötzlich anders aus, und sie weckten mein Interesse.


Im Baugeschichtlichen Archiv der Stadt Zürich BAZ fand ich Fotos aus der Bauzeit, die den Bau aber auf 1931 datierten. Das erstaunte mich zwar, dennoch liess ich die Sache vorerst liegen. Erst vor kurzem erhielt ich einen Anruf von Marcel Just*, der über wollipedia auf mich aufmerksam wurde. Wir tauschten Informationen aus, die wir hatten – er war mit seinen Recherchen schon weiter fortgeschritten als ich. Vor allem wusste er eine Besonderheit! Die Wohnblöcke waren dank der Datierung 1931 nicht nur sehr frühe Beispiele des modernen Bauens, vom Zeitrahmen her vergleichbar mit der Neubühl-Siedlung, nein, die Besonderheit war der Architekt – bzw. die Architektin! Just hatte herausgefunden, dass mit Charlotte Enggist eine bisher nicht weiter bekannte Architekturpionierin 1931 in Wollishofen gebaut hatte! Und weil die Enggist in jenen Jahren geheiratet hatte, und sich offiziell nun Charlotte Ulrich-Enggist zu nennen hatte, rückte auch ihr Ehemann, Friedrich Salomon Ulrich, auf meinen Radar. Ihn konnte ich in der grossen zweibändigen Familiengeschichte von Conrad Ulrich** ausfindig machen. Friedrich Salomon war Spross des gleichen Zweigs der Familie Ulrich, zwar kein Sohn des im Beitrag BLICK VON DER ALTEN KIRCHE HINUNTER porträtierten «Architekten und Oberst Ulrich», aber verwandt, und Architekt! Ulrich-Enggist: ein Architektenpaar!

 

Wohnblöcke Albisstrasse 153-161 im Bau. 1931. Tiefbauamt. BAZ.

 

Allerdings ist unbekannt, wie Charlotte Enggist Architektin wurde. Eine Ausbildung, etwa an der ETH oder in Dresden, wo die Ulrichs gerne studierten, ist nicht bezeugt. Und kurios ist auch, dass Enggist sich bei ihrer Anmeldung in Zürich Ende der 1920er Jahre noch nicht mit diesem Beruf «geschmückt» hatte. Dass sie aber Architektur beherrschte und auch anerkannt war, bezeugen nicht nur die Wohnblocks an der Albisstrasse, sondern einige Aufträge, die sie später, in den 1940er Jahren, von der Stadt erhielt – etwa die Erneuerung und Instandstellung des Hauses «Zum Florhof» (NZZ 12.2.1942)!

 

So stehen wir also vor der etwas paradoxen Situation, dass wir ein doppeltes Pionierwerk vor uns haben, von dem wir gar nicht viel wissen: früheste Flachdächer in Wollishofen, von einer weiblichen Architektin verantwortet und erbaut!


Das Schicksal meinte es allerdings nicht nur gut mit Frau Ulrich-Enggist, denn es war wohl die Wirtschaftskrise, über die sie strauchelte. Natürlich hatte sie die Bauten gut kalkuliert, mit Krediten erstellt, aber die Krise liess die Nachfrage nach neuen Wohnungen schrumpfen – Ulrich-Enggist musste 1934 Konkurs anmelden. In der Folge wurden zwei der fünf Blöcke versteigert (NZZ, 19.8.1934). Dennoch: Charlotte Ulrich-Enggist behielt ihren Kopf oben, sie konnte – wohl nach einer Pause – ihre Tätigkeit als Architektin weiterführen; dafür stehen eben anspruchsvolle Renovationsaufträge der Stadt an historischen Häusern.

 

Die fünf Wohnblöcke an der Albisstrasse gehören heute unterschiedlichen Eigentümerschaften. Sie bilden aber ein wichtiges Baudenkmal für das neue Bauen in Zürich. Der letzte Block gegen Adliswil hin, Albisstrasse 161, ist bedroht; Bauprofile sind ausgesteckt.


Flachdach-Wohnblock 1931. Albisstrasse 161/163. (29.1.2024, zvg).

 

Es ist zu wünschen, dass möglichst viel dieser historisch und architekturhistorisch wertvollen Bausubstanz erhalten bleiben kann!

 

 

(SB)


 

* Marcel Just, Eliana Perotti. Der Fall (von) Charlotte Enggist. Zeitschrift Kunst + Architektur (k + a), (1/2024), S. 12-15.

** Conrad Ulrich. Die Familie Ulrich von Zürich. 2 Bände. Zürich 2016.

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