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VON GÄRTNERN, CHAUFFEUREN – UND GC

Vor kurzem hat sich mir ein lang gehegtes Rätsel gelöst: Denn als ich mit einem über 100jährigen Wollishofer an der oberen Staubstrasse stand und über die Geschichte unseres Quartiers diskutierte, zeigte mein Gesprächspartner plötzlich auf das Haus Staubstrasse 21 und sagte: «Dieses Haus war übrigens ein Kutscherhaus für einen noblen Herrn, der oben an der Bellariastrasse wohnte.»


Die drei überdimensioniert wirkenden Garagentore haben mich schon immer irritiert. Wer baut ein relativ kleines Haus, um drei grosse Garagen im Erdgeschoss unterzubringen? Und nun diese überraschende Lösung: Der Bauherr war ein reicher Mann, der mehrere Fahrzeuge besass, aber nicht im Hause wohnte. Zwar sollte die angenehme Infrastruktur für Autos und Personal in der Nähe seines Wohnsitzes errichtet werden, aber direkt neben seinen Bediensteten wollte der Herr nicht wohnen. Seine Vehikel wollte er indes zu Fuss erreichen können. Meine Frage, zu welcher Villa das Bedienstetenhaus gehörte, konnte mein Gesprächspartner zwar nicht beantworten, er meinte aber: «Es war irgendein Generaldirektor einer grossen Versicherungsgesellschaft, der an der nahegelegenen Ballariastrasse wohnte». Meine Neugierde war geweckt.


Bedienstetenhaus mit Garagen. Staubstrasse 21. 1929 – wohl im Baujahr.

Foto: Heinrich Wolf-Bender. Baugeschichtliches Archiv Zürich.


Im frühen 20. Jahrhundert gab es noch keine Datenschutzgesetze. Deshalb kann noch heute ein damaliger Besitzer eines Stadthauses relativ leicht eruiert werden: In den Adressbüchern wurden nicht nur Bewohnerinnen und Bewohner, sondern eben auch die Besitzenden verzeichnet. Eine kleine Recherche ergab nun, dass die Staubstrasse 21 einen ersten Besitzer namens «Tobler, A., Gen.-Direktor» hatte. Nun musste ich diesen Tobler nur noch als Besitzer einer Villa an der Bellariastrasse finden – und wurde umgehend fündig: «Tobler, Verwaltungsratspräsident» war Besitzer und Bewohner der Bellariastrasse 71. Staubstrasse 21 und Bellariastrasse 71 gehörten also zusammen.


Die Bellariastrasse 71 ist uns bereits einmal begegnet, im Beitrag Fernöstliche Träume konnte das Anwesen als Nachbarhaus zur Villa Kehl identifiziert werden. Doch wer war dessen Besitzer: «Tobler, Gen. Direktor und Verwaltungsratspräsident»? Weiteres Nachschlagen ergab, dass Tobler Generaldirektor einer grossen Versicherung war: der «Zürich».


August L. Tobler stammte aus einer alten Zürcher Bürgersfamilie. Geboren 1871 in Bergamo, wo sein Vater ein Geschäft führte, hielt die Familie den Kontakt mit Zürich stets aufrecht. Die Eltern «erzogen den Sohn in gutzürcherischer, reformierter Tradition, die ihn keineswegs hinderte, sich von jung auf am Reichtum und an der Mannigfaltigkeit anderer Kulturen zu erfreuen», heisst es in einem Nachruf nach dem Tode von Tobler 1948. Als 17jähriger kam er nach Zürich, um eine Lehre als Kaufmann zu absolvieren – mit den ihm angeborenen positiven Charaktereigenschaften die Basis für eine erfolgreiche Wirtschaftslaufbahn. Zunächst war er im internationalen Handel tätig, kehrte aber 1899 nach 7jähriger Tätigkeit in Manila als weltgewandter Kaufmann wegen einer schweren Erkrankung in die Heimat zurück. Nach seiner Genesung suchte er ein neues Wirkungsfeld, und fand es im Versicherungswesen. 29jährig trat er 1900 in die Dienste der «Zürich» ein. «Sein Aufstieg wurde durch die perfekte Beherrschung von fünf europäischen Sprachen in Wort und Schrift wesentlich gefördert» – seine Erfolge beim Aufbau des italienischen Marktes sowie ab 1912 des US-amerikanischen waren der Grund für eine steile Karriere an die Spitze der Versicherung. Als Förderer und Philanthrop unterstütze er vor allem die Universität Zürich und Kulturinstitutionen in der Stadt seiner Kindheit – Bergamo. Dieser weltgewandte Herr war nun eben der Besitzer nicht nur der Villa Bellariastrasse 71, sondern auch des Bedienstetenhauses Staubstrasse 21 – einem schmucken, bewusst traditionell gefassten Architekturwerk mit sehr funktionaler Gestaltung.


Weitere Bedienstetenhäuser im Raume Bellariastrasse...


Ein Bedienstetenhaus, das leichter zu identifizieren ist, befindet sich an der Etzelstrasse 51; es gehört zur Villa Kehl an der Bellariastrasse 75. Auch bei diesem Haus stehen die Garagen im Zentrum der Nutzung, natürlich neben der Gärtnerei, denn zwischen dem Herrenhaus und der Etzelstrasse lag seit je ein prachtvoller Garten.


Etzelstrasse 51, 1950. Baugeschichtliches Archiv Zürich.


Ein weiteres Bedienstetenhaus im Bereich der Bellariastrasse war die Nummer 81. Es gehörte klar zur Villa Bellariastrasse 79, über die im Blog-Beitrag Fernöstliche Träume ausgiebig berichtet wurde. Der Ausschnitt aus dem Stadtplan 1913 zeigt die ganze Anlage des Anwesens. Die Villa lag zentral in einer grosszügigen Parkanlage mit markanten Wegen, die im Stadtplan Beachtung fanden.


Stadtplan 1913, Ausschnitt Bellariastrasse 71-81.


Das Bedienstetenhaus dagegen ist zwar noch auf dem riesigen Grundstück, aber ziemlich am Rande. Was dieses Gebäude von den anderen bisherigen Bedienstetenhäusern unterscheidet: es gab keine Garagen, und auch keinen Zugang mit Autos zum Haus selber. Wenn ein Chauffeur da gewohnt haben sollte, wäre er auch zu Fuss ins Haus gekommen. Aber für den Park waren sehr viele helfende Hände notwendig. Der nötige Gärtnermeister dürfte im Haus Bellariastrasse 81 gewohnt haben.


... und eines an der Kilchbergstrasse


Ein klassisches Bedienstetenhaus mit grossen Garagen steht auch an der Kilchbergstrasse 43. Auch hier passiert die Suche nach dem Herrenhaus über den Besitzer beider Liegenschaften. In diesem Fall heisst er Paul F. Schmid-Korossy, auch er einfach als «Kaufmann» bezeichnet. Schmid-Korossy besass und bewohnte Zellerstrasse 58, die Villa Gutland, die wir bereits vom Beitrag über urbane Villen kennen. Die beiden Parzellen haben eine lange gemeinsame Grenze. Schmid bzw. auch sein Chauffeur konnten problemlos auf die benachbarte Parzelle gelangen.


Kilchbergstrasse 43. Bedienstetenhaus mit Garagen. Foto SB (27.05.2023).


An der Zellerstrasse hatte Schmid-Korossy interessante Nachbarn. Er wohnte zwischen «Bankier Hofmann», dem Gründer der Bank Hofmann, der in der Villa Diana an der Zellerstrasse 62 zuhause war, und der Villa Klopfer, einem rustikalen Rustico-Bau, der die Adresse Hoffnungsstrasse 1 trug; in diesem Hause wohnte der Kaufmann Ferdinand Eberle-Ullmann.


Haus Zum Klopfer, Hoffnungsstrasse 1. Um 1910. Baujahr 1909, abgerissen 1980.

Sammlung MZ. Gelaufen am 3.12.1913.


Womit Schmid-Korossy genau handelte, konnte nicht eruiert werden. Sicher ist, dass er erfolgreich war, sonst hätte er sich die beiden teuren Grundstücke nicht leisten können. Die Suche nach dem Kaufmann P.F. Schmid führte allerdings zu einer veritablen Trouvaille: Denn Schmid – mit vollem Namen Paul Ferdinand Schmid – war in seinen frühen Jahren ein bekannter Sportler. Der 1879 Geborene war ein angesehenes Mitglied des Grasshoppers-Clubs. Er war zunächst ein eigentlicher Fussballpionier, ja er war sogar Captain und tragende Stütze der GC-Fussballmannschaft in den 1890er Jahren. So dirigierte er seine Mannschaft insbesondere im ersten Stadtrivalenderby gegen den FC Zürich im Jahre 1898 zu einem hohen Sieg: GC gewann mit 7:2, und wurde in der Folge dann auch erster Schweizer Fussballmeister.


Um 1900 verliess Schmid Zürich, zunächst Richtung Paris, später auch in die USA. In Paris spielte er Fussball, beim Racing Club de France, in Amerika erlebte er 1906 das grosse Erdbeben in San Francisco. Zurück in der Schweiz fand er wieder zu GC. Er schloss sich insbesondere der GC-Ruder-Sektion an und war da ausserordentlich erfolgreich: Mehrfach wurde er Europameister im Vierer und einmal im Achter. Im neuesten zweibändigen Werk über den Grasshopper-Club heisst es über ihn:

«GC brachte immer wieder Sportler von ausserordentlichem Rang hervor, die auch international für Furore sorgten. Zum Kreis dieser Sportpersönlichkeiten gehörte zweifelsohne auch Paul Ferdinand Schmid, der wie kaum ein anderer den Club während Jahrzehnten prägte und zu den grössten Persönlichkeiten gehört, die der Club je zum Kreis seiner Mitglieder zählen durfte.»*

Schmid-Korossy starb 1947, 68jährig.


Kehren wir nochmals zurück zur Architektur der Bedienstetenhäuser. Besonders auf sich aufmerksam gemacht haben dürften diese ja durch die Gestaltung des Erdgeschosses als Garagenetage. Diese Strukturierung finden wir auch an andern Häusern, die ganz eindeutig nicht einfach Bedienstetenhäuser sind, etwa beim Etzelschloss an der Etzelstrasse 31. Dieses mit seiner symmetrischen Anlage, den beiden Ecktürmen und seiner wuchtigen Strassenfassade eindeutig auf Prunk und feudales Wohnen hin konzipierte Gebäude ist allerdings keine Villa, sondern «nur» ein villenartiges Mehrfamilienhaus. Die schönen Wohnungen sind im – vom Eingang her gesehen – 1. und 2. Stock gelegen: Bel étage! Aber auch im Dachgeschoss dürften sich durch Einbezug in die Turmkonstruktionen auch noch repräsentierende Wohneinheiten befinden. Die architektonische Nähe zum Bedienstetenhaus kommt indessen von den Bedienstetenzimmern im Erdgeschoss (Geschoss des Hauseingangs) sowie von den Garagen, die auf Ebene der Strasse dem Haus vorgelagert sind.


Etzelstrase 31. Baujahr 1925. Foto SB (6.6.2023)


Leicht erhöht auf der Bergseite der Etzelstrasse, selber als Bau von eindrucksvoller Höhe, dürften die «guten Wohnungen» direkte Seesicht geniessen (allenfalls genossen haben), und damit dem feudalen Lebensstil ihrer Bewohner:innen ihren Stempel aufgedrückt haben. Kein eigentliches Bedienstetenhaus…



(SB)


 

* Grasshoppers. Fussball in Zürich seit 1886. Hg. von Reto Baumann, Werner Bosshard, Silvan Keller. Basel: NZZ Libro 2022, S. 476 (sk).

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