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MODE UND SEIDE

Aktualisiert: 1. Apr. 2023

Dass der Name Wollishofen nichts mit Wolle zu tun hat, wissen wir spätestens seit dem Blog über Wolo, den Alamannen. Dass Wollishoferinnen und Wollishofer aber zu verschiedenen Zeiten stark vom Faden lebten, d.h. im Textilgewerbe ihr Brot verdienten, haben wir trotzdem schon in einigen Blogs gespürt. Am deutlichsten wohl bei der Roten Fabrik, die Gustav Henneberg erbauen liess, um darin eine Seidenfabrik einzurichten. Aber auch die Industrie im Manegg begann mit Baumwolle. Und der Stadtbürger und Färber Abegg, der gegen die Vorschriften seiner Zunft in den 1720er Jahren in Wollishofen sein Geschäft errichtete, hat ja wohl auch Stoffe gefärbt.*


Eine besondere Rolle spielte in Wollishofen schon früh die Seide. Seide braucht mehr Kenntnisse, mehr Sorgfalt als Wolle oder Baumwolle. Es war wohl die Stadtnähe, die mögliche Aufsicht durch städtische Seidenherren, die in Wollishofen schon früher als anderswo Seidenverarbeitung heimisch werden liess. Hier am See wurden in einer Zählung im Jahre 1789 12.5 Prozent der Haushaltsvorstände als Seidenweber bezeichnet! Und der vermögendste Wollishofer seiner Zeit, der Besitzer des Anwesens an der heutigen Kilchbergstrasse 62, Heinrich Honegger (1773-1842), war Seidenfabrikant, dürfte also «Arbeitgeber» der zahlreichen Wollishofer Seidenweber gewesen sein.**


Seidenstadt Zürich: Ansichtskarte mit Seidenbild. Ausschnitt 6x8.4 cm. Um 1907. Sammlung MZ. Nicht gelaufen.


1933 war ein Schlusspunkt der Wollishofer Seide: Mit der Aufgabe der Produktion und Schliessung der Seidenfabrik Stünzi, die Henneberg um 1900 als Besitzer der Roten Fabrik abgelöst hatten, dürften etwa 200 Jahre Seidengeschichte zu Ende gegangen sein. Dass man aber auch später mit schönen Textilien – inklusive Seide – erfolgreich sein konnte und kann, zeigt die Geschichte, die ich jetzt erzählen will.


Adam Brody


Als sich der Textil- und Modedesigner Adam Brody kurz nach dem Jahre 2000 am schönen Zürichsee niederliess, war die Welt eine andere als in der Zwischenkriegszeit. Brody kam von Tel Aviv hierher, wo er am weltbekannten Shankar College Designer studiert hatte. Nach Heirat und einer ausgedehnten Hochzeits- und Weltreise war das Ehepaar offen für die Wahl eines Wohn- und Geschäftsitzes irgendwo auf der Welt. Doch blieb man nach einem längeren Besuch der Schwiegereltern in Zürich hängen – genauer: in Wollishofen. Natürlich begann es in der Wohnstube – noch in der Enge –, wo Adam erste Ideen für ein eigenes Geschäft entwickelte. Über die Brunaustrasse hinweg gelang dann der «erste Schritt aus der Wohnstube hinaus» mit der Anmiete eines kleinen Ladenlokals an der Brunaustrasse 69. Damit war der Designer in Wollishofen – davon war er jedenfalls überzeugt. Und noch heute verteidigt er standhaft, dass auf Höhe von Rieter- und Waffenplatzstrasse die Brunaustrasse die Grenze zwischen Enge und Wollishofen bildet. Verbeugen wir uns vor so viel Wollishofer Heimatstolz und lassen wir es bei dieser Ansicht…


Als die Familie grösser wurde, zügelte man jedenfalls endgültig ins schönste städtische Wohnquartier am linken Zürichseeufer, man wurde in der Baugenossenschaft Im Bergdörfli fündig. Das war und ist ideal für die ganze Familie: nahe genug bei der Stadt, und extrem nahe bei Garten und Wald. Dafür ging’s geschäftlich noch etwas näher zum Stadtzentrum: Stockerstrasse 62 – bis heute.


Jacke mit Oasenstadt. Adam Brody (AMBER). Um 2000. Foto 2022. Privatbesitz.


Die Geschäftsidee war zunächst einfach: eigene Designkleider mit eigenem Label. AMBER hiess die Marke. Sie brachte meine erste Begegnung mit Brody, als meine Frau – noch aus dem Laden an der Brunaustrasse – diese schönste Jacke ihres Lebens nach Hause trug. Damals war das Stück einfach schön, als Zierde meiner Frau. Doch jetzt interessiert mich auch die Kreation als solches. Was ist es für ein Stoff? Das Bild sieht gedruckt aus: Wie kam das Bild auf die Jacke? Mit erkennbarem Stolz antwortet Adam auf meine vielen Fragen: «Ja, der Stoff ist Polyester, das Bild darauf wurde von der Firma Mitlödi Textildruck mittels Ink-jet aufgedruckt. Dieses Verfahren war damals noch nicht üblich, wir waren Pioniere.» Spontan, aus dem Kopf, erklärt er mir, worauf besonders zu achten war, wie er die Schnittmuster konzipierte, wie das Foto, das eine Oasenstadt zeigt, bearbeitet wurde, damit die Teile gut aufeinander passten. Und er lobt die Firma, die ihm half, seine Ideen zu verwirklichen! Gemeinsam philosophieren wir auch über das Futter, das aus Seide ist, den Tragkomfort bestimmt, und auch nach Jahren sich noch wunderbar anfühlt. Und Seide ist ja auch der Verweis auf die textile Vorgeschichte Wollishofens vor Brody! Wollishofen war und ist ein gutes Pflaster für Mode und für anspruchsvolle Textilien!


Adam Brody. 2021.


«Style has nothing to do with size»


Die speziellen Stoffe sind die eine Grundlage der Designwelt und der Geschäftsidee von Adam Brody, die Fokussierung auf size plus, auf sogenannte Übergrössen, das andere. Ich habe seine Kleidode allerdings nicht mit der letzteren USP kennengelernt: meine Frau hat Grösse 38. Aber der Erfolg des Geschäfts verdankt sich auch der Idee, Designer-Kleider auch für Übergrössen zu präsentieren, zu behaupten und zu beweisen, dass echter Stil nichts mit Grösse von Kleidern zu tun hat. Dass mollig auch sexy sein kann, beweisen sein Design, seine Modelle, seine Fotos, seine Kundinnen.


Mit Adam Brody schliesst sich kein Kreis, sondern es hat sich eine neue textile Welt in Wollishofen aufgetan, die Tradition und Innovation einschliesst – und einfach schön ist!


(SB)

 

* Vgl. die Blogs WOLO, ROTE FABRIK, ENNET DEM BUTZEN und HOCHHAUS avant la lettre.

** Siehe Blog BÜRGERLICHE ABENDGESELLSCHAFT. Die Angabe 12.5% stammt von Ulrich Pfister, Zürcher fabriques, 1993.

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