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ROTE FABRIK

Aktualisiert: 3. Okt. 2022

ROTE FABRIK – Henneberg und Stünzi, STR und Kulturzentrum


Die «Rote Fabrik» in Zürich ist ein Begriff. Jedermann kennt sie, aber nicht jedermann kennt die rote Fabrik.


Vielleicht waren Sie schon mal an einem Konzert in der Shedhalle? Vielleicht einmal im Restaurant am See? Sie kennen eine Künstlerin, die ihr Atelier in der RF hat? Heute ist die Rote Fabrik ein Kulturzentrum, und das seit über vierzig Jahren. Es begann damit, dass eine 1973 von den Sozialdemokraten eingereichte Volksinitiative zum Schutz der Roten Fabrik 1977 vom Zürcher Stimmvolk angenommen wurde. Nach den Zürcher Unruhen von 1980, während denen die Fabrik «besetzt» worden war, war es dann ein kulturpolitischer Befreiungsschlag, dass man unter Stadtpräsident Thomas Wagner anfangs der 1980er Jahre die von der Stadt einst für den Abriss erstandene Fabrik für kulturelle Belange, vor allem für die Jugend, freigegab.


Doch die Rote Fabrik an der Seestrasse 395 in Wollishofen hat vor 1980 eine ganz andere Geschichte. Sie beginnt mit einem deutschen Adligen. Oder noch besser: einem Preussen aus Schlesien, der eine Wollishoferin heiratete. Doch beginnen wir mit dem Anfang der Geschichte. Karl Gustav Henneberg, 1847 in Görlitz geboren, kam 1874 als Kommissionär nach Zürich und baute an der Bahnhofstrasse die Seidenfirma Henneberg auf. Sie erlangte in kurzer Zeit Weltruf. So wurde Henneberg gemäss Freitagszeitung vom 13. März 1885, nachdem er schon für Preussen Hoflieferant war, auch vom türkischen Sultan mit einem Orden beehrt und zum Hoflieferanten der Hohen Pforte ernannt. Dieser Seidenhändler und später Seidenfabrikant heiratete 1878 Anna Wilhelmina Zeller, geboren 1858 als Tochter von Jakob Christoph Zeller, dem Zürcher «Civil-Ingenieur», der in Wollishofen wohnte (und dessen Familie seit Jahrhunderten in Wollishofen heimisch war, und so der Zellerstrasse ihren Namen gab).


Rechnung der Firma Henneberg. 1896. Sammlung MZ. (Teilansicht)


Mit der Heirat hatte sich Henneberg heimisch gemacht in Zürich, und er hoffte, die Schweiz nicht nur als Seidenhändler zu nutzen, sondern sich auch auf das zürcherische Textil-Industriepotenzial verlassen zu können. Zu diesem Zweck liess er an den Gestaden Wollishofens ein Fabrikgebäude erstellen, um es ganz der Seidenweberei zu widmen. Zwar liess sich das Geschäft gut an, doch bald gab es auch Arbeitskonflikte. In der Neuen Zürcher Zeitung vom 15. Juni 1896 lesen wir: «Die Verhandlungen zwischen dem Arbeitersekretär Hrn. Greulich und Hrn. G. Henneberg führten dank dem Entgegenkommen des letztern zu einer vollständigen Einigung zwischen den beiden. Hr. Henneberg erklärte sich mit einer Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohnreduktion einverstanden. Es mußte auch von dem Vertreter der Arbeiterschaft zugegeben werden, daß die Löhne in den Hennebergschen Fabriken durchaus angemessen seien. Nichtsdestoweniger wird der von einigen Agitatoren geschürte Streik wahrscheinlich heute ausbrechen. Eine Versammlung von Arbeitern der Hennebergschen Fabriken verwarf nämlich die von dem Arbeitersekretär vorgelegten Abmachungen. Der teilweise Streik wird vermutlich heute Morgen beginnen. Offenbar handelt es sich um eine schon längst geplante Bewegung, welche bald auch die übrigen Seidenfabriken ergreifen wird.»


Man stelle sich die Begegnung zwischen Greulich und Henneberg vor, und man stelle sich auch vor, wie Greulich – stolz auf das in den Verhandlungen Erreichte – ernüchtert war, als es trotzdem zum Streik kam. Und auch Henneberg war ernüchtert. Zwar meldete die NZZ im Juli, dass der Streik in der Hennebergschen Fabrik «als beendet gelten» könne. Doch vielleicht fühlte sich der deutsche Industrielle doch noch nicht so heimisch, dass er sich weiterhin mit den Wollishofer Arbeitern herumschlagen wollte. Wie dem auch sei, Henneberg verkaufte 1899 – ohne die NZZ zu informieren, jedenfalls habe ich dazu keinen Bericht in der Zeitung gefunden – seine Fabrik an die Gebrüder Stünzi von Horgen. Die Übernahme 1899 wurde in der NZZ erst am 4. August 1908 anlässlich des Todes des 57jährigen Hans Stünzi publik gemacht. Die Stünzi waren erfolgreich mit dem Standort und hielten die Produktion bis 1933 durch. In diesem Jahr wurden die 400 Webstühle der Firma stillgelegt. – 1910 war die Produktion aber voll am Laufen. Die Stünzis stützten sich mehr auf weibliche Arbeitskräfte – wie eine schöne Postkarte der Belegschaft zeigt: 43 Zettlerinnen umrahmen den Firmenchef Stünzi, darunter auch eine Bertha Hulftegger, die die Karte ihrer Freundin «Susettli» mit der Aufforderung schickte, sie solle in Wollishofen bald einmal einen Besuch abstatten.


Seidenzettlerinnen der Firma Stünzi in Wollishofen. Um 1910.

Fotograf unbekannt. Sammlung MZ.


Ob Henneberg von den Stünzis nach 1899 noch Seidenstoffe erstand, ist nicht bekannt. Dagegen wissen wir, dass der Deutsche ein grosser Kunstfreund war. Er gründete die «Galerie Henneberg», und sein Wohnsitz war das «Palais Henneberg» am Mythenquai – ein Prachtsbau. Wann Henneberg Zürich verliess, ist unklar. Die NZZ verwies am 4.1.1903 auf Berichte in deutschen Zeitungen, dass Henneberg Zürich verlassen und nach Schlesien zurückkehren wolle. Das Seidengeschäft blieb allerdings noch länger in Zürich, so wird inbesondere berichtet (9.8.1907), dass im Schaufenster des «Seidenhauses Henneberg» der «Prunkmantel der Kaiserin Eugenie» vom 12. bis zum 17. August ausgestellt sei.


Und was geschah mit der Roten Fabrik nach Auszug der Seidenzettlerinnen? Tempora mutantur! Die Zeiten ändern sich. Nach der Seide kam das Telefon in die Rote Fabrik. Ab 1935 mietete die Firma «Standard Telephon und Radio AG»(STR) sukzessive mehr Flächen auf dem Gelände und übernahm 1940 alle Gebäude. 1972 zügelte die STR nach Wiedikon, es kam zu einem Landabtausch mit der Stadt Zürich. Die Geschichte seither wurde zu Beginn des Blogs skizziert. – Die Rote Fabrik ist zwar nicht im Zentrum des Quartiers, gleichwohl heute die wohl bekannteste «Marke» Wollishofens.


Rote Fabrik vom See aus. Foto S. Brändli am 14.2.2021.


Eine Hauptattraktion der Roten Fabrik ist, dass sie direkt am See liegt. Dieser Trumpf wurde noch ausgebaut, durch die Erstellung des Cassiopeia-Seeuferwegs. Es wäre ohnehin sehr schön, wenn der durchgehende Seeuferweg auch in Wollishofen finalisiert werden könnte!



(SB)

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