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AutorenbildUrsula Hänni

PUPPEN AUS WOLLISHOFEN

Kennen Sie «Clarina Puppen» und «Sasha Bäbi»? Beide haben Wollishofer Wurzeln!

 

Claire und ihre Clarina Puppen

Mehr als 500 Puppen hat Claire Wettstein-Meier (1920-2006) als Unikate in ihrem Zuhause am Simmlersteig in Wollishofen von Hand angefertigt! Die Puppenmacherin hatte in ihrer Jugend eine Ausbildung zur Modezeichnerin und -schöpferin an der Kunstgewerbeschule in Zürich absolviert. Geplant war, sich in Paris weiter auszubilden, da machte der Krieg Claire einen Strich durch die Rechnung. Sie fand in Zürich eine leitende Stelle in der Modebranche, entwarf ganze Kollektionen, überwachte die Produktion und organisierte Modeschauen.


Foto Clarina Puppe, Ursula Hänni 2024



Nach dem Krieg heiratete sie Albert Wettstein, den späteren Direktor des Schweizerischen Heimatwerks und ältesten Sohn der Wollishofer Familie Wettstein-Hausheer. Nachdem die zwei Kinder gross waren, nahm Claire ihr altes Hobby wieder auf: «Puppen haben mich immer fasziniert», sagte sie, und es zeigte sich bald, dass sie ein ausgesprochenes Talent dafür hatte, Puppen selber herzustellen. Wettstein war Autodidaktin, hatte keine Kurse besucht, erfand für sich alles neu.






Foto Clarina Puppe UH 2024



Als anfangs 1970er Jahre im stillen Kämmerlein erste Puppen entstanden waren, organisiserte ihr Mann den Verkauf über das Heimatwerk: Der Erfolg kam sofort - und anhaltend. Noch bis ins hohe Alter kreierte sie «Clarina Puppen», meist vier bis fünf pro Jahr.

Jede dieser Puppen war ein Einzelstück: Etwa 60 Stunden arbeitete Claire Wettstein an einem Bäbi: Jedes wurde von Hand und von Grund auf individuell gestaltet – zum Beispiel als Dame der Stadt oder jüngere Frau, wohlhabend oder bescheiden, keck oder brav, meist im Stil der Jahrhundertwende. Natürlich auch die Kleider – alles von Hand gemacht, bis hin zur Unterwäsche! 

Foto Clarina Puppe UH 2024


Trachtenpuppen und Ausstellungen

Ein besonderes Projekt verhalf Claire Wettstein zu einem «Gesamtkunstwerk» besonderer Art. Sie schuf in den 1980er Jahren für jeden Kanton eine Trachtenpuppe für die Ausstellung «Schweizer Kunsthandwerk zwischen Gestern und Morgen» der Schweizerischen Verkehrszentrale (heute Schweiz Tourismus), mit Originalstoffen, Schmuck – in enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Trachtenverantwortlichen der Kantone. (siehe auch Blogbeitrag Wollishofer Tracht)


Trachtenpuppen Claire Wettstein, aus: e-periodica 1995, «Le messager suisse »

 

Alle fertiggestellten Puppen waren jeweils sofort vergeben – gekauft von Clarina-Liebhaberinnen und -Liebhabern. Sicherlich steht die eine oder andere Puppe bis heute in einem Wollishofer Haushalt! Gerne erinnere ich mich an meine Grosstante Claire „Klärli“ Wettstein, welche bis ins hohe Alter stets modern und adrett gekleidet unterwegs war und damit ihren Wurzeln in der Modewelt bis zum Schluss treu geblieben ist.


Claire Wettstein-Meier ca. 1990, Foto Privatbesitz



Die Geschichte der Sasha-Bäbi ist anders und beginnt eine Generation früher:


Die Künstlerin Sasha Morgenthaler (1893-1975) wurde als Mary Magdalena Alexandra ("Sasha") von Sinner  in Bern geboren. Aufgewachsen in aristokratischem Milieu, besuchte sie als einziges Mädchen die Klasse des Literaturgymnasiums in Bern. Darauf folgte eine Ausbildung an der Ecole des Beaux-Arts in Genf. 1914 lernte sie den Kunstmaler Ernst Morgenthaler kennen, den sie 1916 heiratete und ab dann – wegen ihm – nicht mehr malte, obwohl sehr begabt.

 

Erste Sasha Bäbi entstehen in Wollishofen

Nach 1919 zog die Familie mit 2 kleinen Kindern nach Wollishofen, an die Reginastrasse 6. Dort wurde das dritte Kind geboren und es entstanden anfangs 1920er Jahre die ersten Stofftiere und Puppen, für ihre eigenen Kinder. Nach vier Jahren Wollishofen zog die Familie nach Küsnacht, lebte zwischendurch in Paris und anschliessend in Höngg.




Sasha Morgenthaler, Foto ca. 1920


Krieg und lebensgrosse Mannequins

Anfangs der 1940er Jahre war Sasha Morgenthaler beteiligt an der Gründung eines «Hülfstrupps» und half beim Kriegshilfsdienst in Zürich und bei Kinderflüchtlingstransporten durch die Schweiz. Nur wenig später gewann sie den ersten Preis bei einem Spielzeugwettbewerb der Eidgenossenschaft, worauf Aufträge für lebensgrosse Marionetten und Mannequins folgten. Sasha begann ab dann vermehrt und regelmässig Puppen zu machen. Nach Versuchen mit Wachs, Hartgummi und Kunstharz fertigte sie den grössten Teil ihrer Modelle aus Stoff, verstärktem Gips oder verschiedenen Arten von Kunststoff. Sie baute ein  Team von Mitarbeiterinnen zur Entwicklung der Puppen auf,  welche von 1942 bis 1970 entstanden. Gelegentlich schuf sie auch Tierplastiken und freie Gestaltungen.


Bei Bemalung und Gestaltung folgte sie einem asymmetrischen Ansatz, nach welchem zwei Augen nie genau gleich gemalt waren und Arme und Beine nie die exakt gleiche Länge hatten. Auch achtete sie darauf, eine Übersättigung der Puppen mit Details zu vermeiden, dies galt vor allem auch für ihre Kleiderentwürfe. Antrieb zur Gestaltung ihrer Figuren war «die Marotte im Kopf, dass Kinder durch gute Puppen zu größerer Menschlichkeit erzogen werden könnten». Sasha-Puppen haben einen nachdenklich-verträumten Gesichtsausdruck, in den das spielende Kind eigene Stimmungen hineinlegen kann. Auf nur vier Varianten eines Modellkopfes basierend, entstanden Individuen durch unterschiedliche Bemalung der Augen, Frisuren und sorgfältig ausgewählte Kleidung. *


Fotos Sasha Bäbi Markus Zimmermann und Ursula Hänni, 2023/2024


Der Welt Malerei und bildenden Kunst blieb Sasha Morgenthaler nicht nur über ihren Mann verbunden: In der Wollishofer Zeit bahnten sich vielfältige Beziehungen zu vielen Künstlern an: Darunter Otto Meyer-Amden, Othmar Schoeck (Komponist und Dirigent aus Wollishofen),  Hermann Hesse. Der Bildhauer Karl Geiser gehörte über einige Jahre praktisch zur Familie und war ein enger Freund von Sasha. Bereits einige Jahre vorher hatte Paul Klee, ein Freund der Familie, Sasha ein Studienjahr beim Maler Cuno Amiet vermittelt; dort hatte sie Ernst Morgenthaler kennengelernt.


Ernst Morgenthaler starb 1962. Dieser Zäsur im Privatleben folgte auch eine Veränderung im Geschäftsleben: Denn waren die produzierten Puppen bis zu diesem Zeitpunkt in hohen Preisklassen angesiedelt, begann ab 1964 die serienmässige Produktion. Durch den Kontakt zur Migros gelang es Sasha, Serienpuppen aus Vinyl herzustellen. Bis 1971 und von 1995 - 2001 (Stempel im Nacken und auf dem Rücken) stellte die Firma Götz Rödenthal die Puppen her. Gleichzeitig liess Morgenthaler ihre Puppen 1966 - 1986 in England herstellen; diese Bäbi haben keine Markierungen auf dem Körper, sondern «Armbändeli»


Foto Sasha Bäbi UH 2024


«Die vielen Eindrücke von Menschen aus fremden Ländern sind mein Erinnerungsmaterial, mit dem ich arbeite, denn ich kann meinen Puppen nur das geben, was ich selbst erlebt habe.»

Sasha Morgenthaler hatte relativ spät noch eine Ausbildung zur Hebamme absolviert und war viel gereist, unternahm zwischen 1963 und 1970 insgesamt sechs Reisen um die Welt, Ausstellungen in Paris und Jerusalem schlossen daran an. Im Jahr 1975 starb sie mit 81 Jahren in Zürich-Höngg. Frühe Sasha Puppen werden heutzutage zu hohen Preisen gehandelt, die späteren Modelle sind noch heute weit verbreitet.

 

Die grosse Frage: Puppen aufstellen oder damit spielen?

Claire Wettstein und Sasha Morgenthaler hatten unterschiedlichen Ausbildungen absolviert, verschiedene Antworten zur oben gestellten Frage gegeben, andere Ideen umgesetzt, in verschiedenen Zeiten und ihre Leben anders gelebt.  Beide aber haben in Wollishofen wesentliche Impulse erhalten und ihr berufliches und künstlerisches Können ein- und mit den Puppen umgesetzt! So ist es wohl kein Zufall, dass  die abgebildeten Bäbi bis heute in Wollishofer Haushalten wohnen und von dort den Weg zu Wollipedia gefunden haben. Ich bin Maria Schneider und Margrit Wettstein dankbar für das langjährige Hüten der Puppenmädchen und -frauen! 


Ursula Hänni



Nachtrag: Eine Leserin hat uns gemeldet, dass es noch eine weitere Wollishofer Puppenmacherin gibt! Elisabeth Flueler-Tomamichel ist in Wollishofen aufgewachsen und stellt kunstvolle Puppen her. Sie hat ihre eigene Puppen-Website: www.eft.ch

 

* viele Fotos von Werken und Infos zum Leben der Künstlerin in: Sasha Morgenthaler. Sasha-Puppen / Sasha Dolls, von Christine Seiler, Barbara Cameron Morgenthaler, Annemarie Monteil; Edition Till Schaap, 2014



 

 

 



 




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