GANT IM HIRSCHEN
- Sebastian Brändli
- 9. Mai
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 13. Mai
Wer vom Central her durch die Zähringerstrasse wandert, steht nach Querung der Häringstrasse vor Nummer 17, wo die Pestalozzi-Bibliothek einen schönen grossen Raum im Erdgeschoss zum Empfang vieler Leserinnen und Leser präsentiert. Ältere Menschen wissen, dass dieser Raum lange Zeit der Gant-Saal der Zürcher Altstadt war. Ein grosser Saal, der sogar als Gerichtssaal durchginge, für eine Gant? War die Gant so wichtig, dass man ihr eine solche Ehre antun musste?
Ja. Wir können uns heute im Zeitalter des Internets – vom Warenerwerb inkl. Zahlung über Liegenschaftengeschäfte bis zur Kreditaufnahme per smartphone – kaum mehr vorstellen, dass früher wichtige Geschäfte nur physisch, bei Anwesenheit der Akteure vor Ort, durchgeführt werden konnten. Das war vor allem beim Haus(ver)kauf so! Wollte man eine Liegenschaft zum Höchstpreis verkaufen, so veranstaltete man eine Gant. Eine solche war geboten im Falle eines Verkaufs wegen Konkurses – zugunsten der Gläubiger eines Konkursiten. Das galt aber auch für andere Handwechsel, auch Fahrhabe, also Haushalte etc. wurden oft auf einer Gant versteigert bzw. verhökert.
Im Alten Zürich war das Gantwesen restriktiv geregelt – dies nicht zuletzt deswegen, weil auf Ganten die Emotionen hochgehen, weil Streitigkeiten und Unordnung entstehen konnten. Auf der Zürcher Landschaft musste eine Gant obrigkeitlich bewilligt werden, letztlich hing die Durchführung von der Zustimmung der Land- oder die Obervögte ab. Nach dem Aufkommen von Zeitungen erschienen häufig Inserate oder Meldungen, die auf bevorstehende Ganten hinwiesen. Es war ja im Interesse des Verkäufers, dass viele potente kaufwillige Menschen sich am Geschäft beteiligten, um so einen möglichst hohen Preis realisieren zu können.

Grosser Betrieb am Ganttag. Gunzwil LU, Bauernhof Bertschi. 1966 (31.3.1966).
Foto: Comet Photo AG. ETH-Bibliothek Zürich.
So auch in Wollishofen. Von besonderem Interesse – auch im Zusammenhang mit der Familiengeschichte der Hausheer – ist die Vergantung einer Liegenschaft, die als «Hausheer'sches Lehen» in die Geschichte eingegangen ist. Am 3. März 1785 konnte man im «Donnstags-Blatt» (S. 72) lesen:
Hausheer'sches Lehen
«Mit hoher Verwilligung der Tit. HHerren Obervögten zu Wollishofen und Enge, wird Montags, den 7ten Merz, Nachmittags um 1 Uhr, in dem Gesellenhaus zu Wollishofen, ein öffentlicher Feiltag gehalten werden, über des Heinrich Hausherren von daselbst besitzenden Haus- und Gütergewerb; bestehend in
einer grossen luftigen Behausung
einer eignen Trotten, Scheuer, Bestallung, und s.v. Schweinstall,
samt einem halben Gertel Holz- und Weyd-Gerechtigkeit,
Kraut- und Baumgarten, ungefehr 2 und ein halb Mannwerk gross,
nebst 2 Jucharten Reben, alles an und bey einander in der Gemeind Wollishofen gelegen; dazu gehören ferner
2 und eine halbe Juchart Acker,
eine halbe Juchart Streui, und
eine halbe Juchart Holz und Boden,
samt 3 Mannen- und 3 Weiber-Kirchenörtern in dasiger Kirche.
Allfählige [!] Liebhaber zu diesem schönen und vortreflich situirten Gewerb, können das mehrere darüber bey Hauptmann und Untervogt Johannes Weber zu oftermeldtem Wollishofen in Erfahrung bringen. Geben den 15. Hornung 1785. Canzley Wollishofen und Enge.»
Neben dem eigentlichen Hof mit Nebengebäuden standen beim Verkauf der Liegenschaft auch Allmendanteile und Gärten, Ackerflächen, Reben sowie Sträuiland und Waldanteile im Angebot. Dazu kamen auch sogenannte «Kirchenörter», also fest Personen zugeteilte Sitzplätze in der Kirche. Natürlich kannte damals ganz Wollishofen den Grund für die Vergantung des Hausheerschen Lehens, des Hofs, auf dem Heinrich Hausheer gewirtschaftet hatte. Auch wir könnten den Grund wohl herausfinden. Allein, man müsste möglicherweise in zahlreichen Akten im Staats- und im Stadtarchiv wühlen, um zu einem sicheren Schluss zu kommen. Um welche Liegenschaft es sich beim Hausheerschen Lehen handelte, ist noch nicht 100%ig geklärt. Die Chance ist aber gross, dass es sich um jene Liegenschaft im Oberdorf, am Bogenweg, handelt, die wir schon im entsprechenden Blogbeitrag vorgestellt haben: Die spätere Adresse war Albisstrasse 66.
Möglicherweise erbrachte die Gant kein genügendes Resultat, vielleicht erfolgte 1785 auch nur ein Teilverkauf. Jedenfalls gab es im Jahr darauf erneut eine Gant unter dem Titel Hausheer'sches Lehen, diesmal aber vom Spitalamt als Verkäufer: Angeboten wurden mehrere Stücke Bauernland, ohne Haus und Hof (S. 200): «Montags den 26. des laufenden Brachmonats Morgens um 9 Uhr wird in allhiesig Lobl. Spithalamt ein öffentlicher Feil- und Ganttag gehalten werden, über das Hausheerische Lehen zu Wollishofen, bestehend in 3 Juchart Reben, ohngefehr 4 ¼ Mannwerk Wiesen, und 1 /2 Juchart Acker. Wer Lust hat auf eint oder anderes zu bieten, kann sich bemeldten Tags zur bestimmten Stund daselbst einfinden, allwo jedermänniglich mit gutem Bescheid wird begegnet werden. Actum den 6. Junii 1786, Spithalamts-Canzley.»
Wohnhaus mit Schreinerei im Gässli
Während das Gantwesen in der bäuerlichen Wirtschaft üblich war, dürften Gewerbebauten weniger häufig betroffen gewesen sein. Zu oft lernte ein Sohn den väterlichen Beruf und übernahm damit auch die dazu nötigen Infrastrukturen. Nicht so im Falle des seligen Herrn Jakob Asper, gewesener Schreinermeister. Sein Wohnhaus mit drei Wohnungen und einer Schreinerei-Werkstatt wurde nach seinem Tode 1858 von den Erben öffentlich versteigert, eben «vergantet». Das Inserat spricht von Liegenschaften «beieinander gelegen zwischen dem See und der Seestrasse, eine halbe Stunde von Zürich entfernt». Das könnte natürlich an mehreren Orten in Wollishofen der Fall gewesen sein. Ein Blick in die Bücher der Brandassekuranz und die Bürgerbücher Wollishofens zeigt aber, dass Jakob Asper im Gässli, dem heutigen Honrainweg, gewohnt hatte (Versicherungsnummer 4). In der Gant übernahm offensichtlich ein Johannes Huber, auch er ein Schreiner, das Gewerbe, allerdings verschwindet dieser schnell wieder, und es tauchen bereits 1864 neue Namen auf: Jacob Hertli und Julius Wegmann; Wegmann blieb dort bis anfangs der 1880er-Jahre. Heute steht die Häuserzeile am ehemaligen «Gässli» noch fast unverändert da, eine Schreinerei ist dort aber nicht mehr zu finden. Beim Haus von Jakob Asper dürfte es sich um die heutige Nummer 13 am Honrainweg gehandelt haben, um 1910 war das Haus jedenfalls noch im Besitze eines Schreiners namens Hürlimann.

Gantanzeige in der Zürcher Freitagszeitung im Januar 1859. Die Erben des Schreiners Jakob Asper wollen das Wohnhaus und den Gewerb des Verstorbenen verkaufen.
Gant auf der Hinteren Mutschelle
Ein drittes Gant-Beispiel aus Wollishofen stammt aus dem Jahr 1849, und es bringt nochmals einen andern Aspekt zu Tage. Es heisst in der Anzeige:
«Unter Leitung hiesiger Gantbeamtung wird der dem Heinrich Asper in der Mutschelle zu Wollishofen gehörende Gütergewerb Donnerstag den 19. April d. Js., Abends 5 Uhr, im Gasthof zum Hirschen dahier zum zweiten Mal auf öffentliche Steigerung gebracht und den Meistbietenden unter Ratifikationsvorbehalt der Waisenbehörden überlassen werden.
Derselbe besteht in:
Einem doppelten Wohnhaus, Scheune und Garten.
Einer Trotte, mit 2 Boden, einer Kammer und einer Schütte,
ferner 1 s.v. Schweinstall.
Zwei Drittel an einem Waschhaus.
Einem Brennhaus mit einer Wohnung, einem Keller und einer Schütte.
Einer großen Scheune und einem im Jahr 1848 daran gebauten Wagenschopf, der dato noch nicht assekurirt ist.
Sämtliche Gebäude sind sub. Nr. 85 und 86 zusammen für 8280 Fl. assekurirt.
Zum Wohnhause gehören:
2 Männer- und 2 Weiberörter in der Kirche zu Wollishofen.
Circa 11 Jucharten Mattland und Baumgarten, von denen das meiste mit ertragreichen Obstbäumen bepflanzt ist.
Circa 5 Jucharten Ackerland an mehreren Stucken.
Circa 3 Jucharten Reben an mehreren Stücken, mit der Hälfte an einem Rebhäuschen, assekurirt für 40 fl.
Circa 2 Jucharten Holz und Boden an mehreren Stücken.
Diese Liegenschaften, welche sammethaft, so wie in 2 Abtheilungen auf die Gant gebracht werden, befinden sich in bestem Zustande und lassen zahlreiche Kaufliebhaber erwarten.
Für Einsichtnahme der Kaufsobjekte wolle man sich an den Eigenthümer wenden; die Gantbedingungen können bei Unterzeichneter eingesehen werden. Wollishofen, 31. März 1849. Die Gantbeamtung.»
Hübsch ist, dass die Liegenschaft, um die es bei der Gant 1849 ging, genau identifiziert werden kann. Es handelte sich um den Hof der Hinteren Mutschelle, in der Weggabelung zwischen Mutschellen- und Bellariastrasse, spätere Bellariastrasse 90. Heinrich Asper war nicht der letzte Landwirt auf diesem Hof; auf der Gant erstand Landwirt Heinrich Irminger das Anwesen. In den Büchern der Brandassekuranz finden wir ihn ab 1850, sein Sohn Johannes Irminger bleibt bis über die 1880er hinaus auf dem Hof. Später handelte die Familie Irminger mit Kohle und anderem Heizmaterial.

Hintere Mutschelle, Bellariastrasse 90, V-Nr. 434, Eigentümer 1847: Heinrich Asper.
Aufnahme 1946. BAZ.
***
Eine Gant, insbesondere das Verganten einer bäuerlichen Liegenschaft, war in der frühen Neuzeit in den Dörfern ein richtiges Ereignis. Es kamen bei einem solchen Vorgang ja auch einige Aspekte und Probleme zusammen. Und die Neugierde, wer das Rennen macht – ein Einheimischer oder ein Fremder – war gross. Zudem war der Verkäufer meist eine tragische Figur, er gehörte wohl zu den Verlierern der Entwicklung – er musste verkaufen. Das zeigt die Nennung der «Waisenbehörden» sogar schon in der Anzeige, die vor allem die Rechte der Kinder, oft auch der Frau, wahren mussten. Das erinnert an die aktuellen Fragen um die Organisation und Funktion der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden!
Heute finden bäuerliche Ganten in der Regel dann statt, wenn ein Hof keinen Nachfolger findet, und man ihn durch Verkauf weitergeben will. Dann findet – Unterhaltung lässt grüssen – meist auch eine Festwirtschaft statt. Bei bäuerlichen Konkursen hingegen organisiert ein Liquidator Hof und Haushalt, was unter Umständen zwar auch viele Leute anzieht, der unterhaltende Faktor scheint da aber weniger überlebt zu haben.
Sebastian Brändli
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