Das Geschlecht der Meiss von Zürich ist die älteste Burgerfamilie Zürichs; von ihr leben noch heute Nachkommen unter diesem Namen: Ersterwähnung 1224 – dieses Jahr also just vor 800 Jahren. Vor 1800 waren die Meissen als Junker adelig, gleichwohl aber Bürger der Stadt, und sie gehörten der Stadtherrschaft an. Nach Einführung der Rechtsgleichheit fiel der aristokratische Vorrang dahin, die Familie nannte sich fortan «von Meiss».*
Erstmals im Jahr 1908 erscheint in den Zürcher Adressbüchern ein Ferdinand Meiss. Er war Schuhmacher, und war von Preussen her in die Schweiz gekommen. Er trug kein «von». Ob seine Familie ursprünglich zur Zürcher Junkerfamilie gehörte, ist nicht belegt, es ist aber auch nicht klar, weshalb er als Preusse nach Zürich gekommen ist. Die Kriegszeit 1914-18 verbrachte er nicht in Zürich, er dürfte im Deutschen Heer gedient haben.
Meiss gründete 1907 mit Barbara Hulda Rüegg von Fischenthal eine Familie, die bis in die 1920er Jahre an der Weineggstrasse wohnte, später dann nach Wollishofen zügelte, an die Lettenholzstrasse. In Nummer 4 war die Schuhmacherei, und auch die Familie dürfte da gewohnt haben. Die Mutter arbeitete zusätzlich zum Haushalt noch in der Tabakfabrik – bei Henri Weber an der Nidelbadstrasse. Es kamen vier Kinder zur Welt, drei Schwestern und ein Sohn – dieser hiess wiederum Ferdinand, geboren 1910. Ferdinand jun. wollte nicht Schuhmacher werden, er lernte einen anderen Handwerksberuf (im Adressbuch wird er später als El.-Monteur bezeichnet). Doch nach der Lehre war es für ihn klar, dass er nicht mit diesem Beruf durchs Leben wollte. Er wusste zunächst aber auch keine Alternative. Der Vater machte indessen Druck und meinte: «Dini Bei stellsch nöd under min Tisch, wennt nüt tuesch» – so berichtet es Lilly Meiss, Witwe des verstorbenen Ferdinand jun.
Ferdinand Meiss, jun., als junger Mann (Familienbesitz)
Das wirkte! Mit Einverständnis des Vaters ging Sohn Ferdinand in die Berge, die er so liebte. Er besuchte die Bergführerschule in Meiringen und kam als ausgebildeter Alpinspezialist nach Zürich zurück. So begann er als Kaufmann mit Bergsportartikeln zu handeln. Er wusste, was für eine Ausrüstung ein guter Bergsteiger haben musste, insbesondere wusste er, welche Ausrüstung für Berg- oder Skitouren nötig war: ein guter Rucksack, mit der Möglichkeit, die Skis oder den Pickel an den Rucksack anhängen zu können. Wann genau Meiss mit der Produktion von Rucksäcken begann, ist nicht geklärt, doch aus den Jahren 1938 und 1939 weiss man um Meiss’sche Patente, die helfen sollten, solche Utensilien an einem Rucksack fixieren zu können. Sein Geschäft betrieb Meiss jun. zuerst an der Albisstrasse 72, später (ab 1948) wurde er Mieter an der Rainstrasse 11 (heute Rainstrasse 5). Dort produzierten im 1. Stock zeitweise über 5 Näherinnen vor allem Rucksäcke. Später konnte Meiss das Haus kaufen und betrieb im 1. Stock eine regelrechte Fabrik.
SPORT MEISS, Domizil Rainstrasse 5 an der Ecke zur Butzenstrasse. 1954. BAZ.
Witwe Lilly Meiss zeigt mir einen erhaltenen Katalog der Produkte, die Meiss vertrieb. Auf der Titelseite ist eine Gebirgslandschaft abgebildet: das höchste Bergmassiv der Erde – das Himalaya-Gebiet mit dem Mount Everest.
Geheftete Katalogteile Sport Meiss, Zürich: Rucksäcke, Sportbrillen, Hundeleinen.
Angaben 1952-1971, Preislisten später aktualisiert. Privatbesitz.
Der Mount Everest hat in der Geschichte von Sport Meiss eine ganz besondere Stellung und Bedeutung. Der dritte Mensch auf dem höchsten Berg der Welt – nach Hillary und Sherpa Tenzing – war ein Schweizer, ein Berner Oberländer namens Ernst Schmied. Diesen kannte Meiss wohl von der Meiringer Bergführerschule – jedenfalls benutzte Schmied die Top-Rucksäcke von Meiss. So war 1956 nicht nur der erste Schweizer auf dem Everest, sondern mit ihm auch erstmals ein Schweizer Bergrucksack - aus dem Hause Meiss!!
Dazu gratulierte sogar Bundesrat Chaudet (gemäss NZZ vom 29.5.1956):
Bern, 28. Mai. ag Bundesrat Chaudet, Vorsteher des EMD, des Eidg. Militärdepartements, sandte am Montag ein Telegramm an die schweizerische Mount Everest-Expedition 1956 in Katmandu mit folgendem Wortlaut: «Zu ihrem prachtvollen alpinistischen Erfolg gratuliere ich der gesamten schweizerischen Expedition herzlich. Sie haben mit ihrem Einsatz einen Sieg errungen, auf den unser Land stolz ist. Er ist ein Markstein in der Geschichte des schweizerischen Alpinismus.»
Ein Markstein in der Geschichte des schweizerischen Alpinismus – gestützt auf ein Wollishofer Design-Produkt!
Besondere Bedeutung im Sortiment Meiss hatten auch die Skibrillen. Sie waren Produkte eines Meiss’schen Patentes, hatten auswechselbare Gläser (aus Zelluloid) – man konnte insbesondere auf die Sonneneinstrahlung reagieren und verschiedene Farben einsetzen. Auch diese Fabrikate hatten einen sehr guten Ruf. Jeder bergtüchtige Skifahrer und jede Wintersportlerin der 1950er Jahre, die etwas auf sich hielt, hatte eine Skibrille von Sport Meiss. Und heute hat sogar das Nationalmuseum der Schweiz, das Landesmuseum in Zürich, zwei solche Design-Juwelen in seiner Sammlung.
Aus dem Artikel von Christof Kübler und Christina Sonderegger zur
Design-Sammlung des Landesmuseums (20. Jahrhundert).
Skibrille von «Sport Meiss Zürich 38». Sammlung MZ.
Das Sportartikel-Geschäft lief über Jahre gut. Bis weit übers Pensionierungsalter arbeitete Meiss weiter in seinem Betrieb. Eine familiäre Nachfolge fehlte aber – die Verbindung mit seiner ersten Ehefrau Meiss-Rentschler hatte keine Kinder zur Folge gehabt. Nach ihrem Tod, wohl zu Beginn der 1980er Jahre, schloss Meiss sein Geschäft in Wollishofen. Er arbeitete allerdings noch etwas länger. Weil er über gute Kundenbeziehungen in Oesterreich verfügte, erhielt er von der Firma Fürst, dem damals grössten Rucksackhersteller der Schweiz, einen entsprechenden Auftrag (einige Jahre in den 1980er Jahren). Erst kurz vor 1990 hörte Meiss, der sich nach dem Tod seiner ersten Frau nochmals verheiratet hatte, mit dem Arbeiten auf und genoss den Lebensabend in seiner Wohnung an der Bellariastrasse 53, zusammen mit Lilly Meiss-Briner. Er starb 1993 – nach einem erfüllten, der Bergwelt und seinem Sportwarenbetrieb gewidmeten Leben.
Ferdinand Meiss jun. als pfeifenrauchende Kletter-Ikone vor seiner geliebten Bergwelt.
Um 1940. Foto in Familienbesitz.
* Zum 800jährigen Jubiläum erscheint 2024 eine Monografie zur Familiengeschichte im Verlag Hier+Jetzt (https://www.hierundjetzt.ch/de/catalogue/800-jahre-familie-meiss-von-zurich_24000015/).
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