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STARKER TOBAK

Aktualisiert: 11. Apr.

Im Zentrum des vorliegenden Beitrages steht die Person von Henry Weber. Weber stammte zwar aus Wollishofen, doch gehörte er nicht zur bekannten Bauernfamilie im Lavaterhaus, sondern zu einer wohl im 19. Jh. zugewanderten Familie dieses Namens.


Für die Genealogie dieser Familie beginne ich mit Heinrich Weber, dem langjährigen Wirt in der «kleinen Tonhalle» an der Seestrasse 386. Heinrich dürfte um 1865 geboren worden sein – ich vermute im Ortsteil Erdbrust –, um 1890 war er mit Albertine Hausheer verheiratet (sie stammte mit grosser Sicherheit von Wollishofen). Von Beruf war Heinrich gelernter Küfer, doch er war eben vor allem – über drei Jahrzehnte lang – als Wirt am See tätig gewesen (von ca. 1892-1925).

Seestrasse 390, 388, 386: das Restaurant «Zur kleinen Tonhalle»

war in Nummer 386 untergebracht. Erbaut vor 1900. Sammlung MZ.


Henry Weber - und seine Tabakwaren


In dieser Konstellation kam auch der Sohn zur Welt – Heinrich, wie der Vater, sollte er heissen. Das war 1892. Der Sohn war wohl unzufrieden mit dem Vornamen des Vaters, und er gab sich bald, wie es damals eben Mode war, französisch: Henri, meistens aber als Henry. Welche Schulen und Ausbildungen er besucht hatte, ist nicht bekannt. Wir wissen aber, dass er anfangs der 1920er, also mit rund 30 Jahren, Rosa Etter (*1903) heiratete – sie stammte wohl auch aus dem Beizenmilieu. Auch Henry hatte mit Rosa bald – 1925 – Kinderglück: erneut ein Bube, erneut ein Heinrich, d.h. ein Henry. Wir nennen den Vater Henry sen., seinen Sohn Henry jun.


Anfangs der 1920er Jahre finden wir Henry sen. erstmals in einer beruflichen Situation. Vielleicht hatte der Vater seinen Beruf als Wirt für den Sohn vorgesehen gehabt, Henry übernahm diesen aber offensichtlich nicht. Vielmehr wandte er sich dem Tabakgeschäft zu. Wann er genau damit begann, ist nicht bekannt. Schon 1920 wurde er in die Zunft Wollishofen aufgenommen – was darauf schliessen lässt, dass er schon als «respektabler Mann» angesehen wurde. Mit seiner ersten offiziellen Firma trat er 1923 an die Öffentlichkeit.




In diesem Jahr trug Henry die Firma «Henry Weber Tabakwaren» als Einzelfirma im Handelsregister ein – er war damals 29jährig, ein Jungunternehmer! Das Firmendomizil der Firma «Heinrich Weber-Etter, Tabak-Import» war laut Adressbuch im Jahre 1925 Seestrasse 388 – Wohnadresse der Eltern. Obwohl schon verheiratet, dürfte Henry also noch im Hause seiner Eltern gewohnt haben. 1930 aber finden wir ihn dann an besserer Adresse, an der Wachtelstrasse 17, in einem soeben fertiggestellten, feudalen Dreifamilienhaus.


Henry sen. war offensichtlich ein weitsichtiger Unternehmer. Er begann sein Geschäft zwar mit dem Import von Tabak in die Schweiz, er wollte aber mehr. Auch die Veredelung von Rohtabak zu Zigarren und Zigaretten sowie der Verkauf von Pfeifentabak sollte in seiner Firma geschehen. So brauchte die Firma bald mehr Platz.


Die Tabakfabrik an der Nidelbadstrasse


Ende der 1920er Jahre war an der Nidelbadstrasse noch alles Bauernland. Zwar war damals die Planung für die Siedlung Neubühl an der äusseren Nidelbadstrasse, hart an der Grenze zu Kilchberg, schon weit fortgeschritten. Doch die Flächen dazwischen, zwischen Widmerstrasse und Neubühl, waren noch völlig «leer». Dort fand Henry das Areal, das er für seine Fabrik ausgewählt hatte: die spätere Nidelbadstrasse 8. 1931 dürfte das Gebäude errichtet worden sein, Bezug wohl 1932. Im Handelsregister ist jedenfalls mit Datum vom 15.2.1933 vermerkt: «Die Firma Henry Weber, Tabak-Import, in Zürich (seit 9.1.1923) hat Geschäftslokal an die Nidelbadstrasse 8 verlegt.»


Flugaufnahme mit Neubühl und Fabrik Nidelbadstrasse 6/8. Swissair um 1932. Baugeschichtliches Archiv Zürich.


1952 wurde aus der Einzelfirma eine Aktiengesellschaft, die «Henry Weber AG»; natürlich wurde Henry Verwaltungsratspräsident, seine Ehefrau Rosa einzige Verwaltungsrätin. Rosa wurde bei ihrem Tod 1973 gar als «alt Geschäftsinhaberin» bezeichnet; sie war also aktiv im Geschäft, auch über den Tod ihres Ehemanns hinaus. Wie weit Henry jun. im Geschäft aktiv war, ist schwierig zu eruieren; als «kfm. Angestellter» dürfte er problemlos Unterschlupf gefunden haben, 1952 wird er gar «techn. Betriebsleiter» genannt, ungefähr in jenen Jahren verheiratete er sich mit Hanni Krummenacher. Das junge Paar wohnte zunächst am David-Hess-Weg, ganz in der Nähe der Fabrik, später wohnten sie in Langnau am Albis, schliesslich zügelte man in den Kanton Zug.


Von den frühen 1930er Jahren über die Kriegszeiten bis in die Hochkonjunktur war Tabak ein aufstrebendes Geschäft. Das Rauchen gehörte mehr und mehr zum guten Stil. Waren es zunächst vor allem Männer, kamen später auch die Frauen auf den Genuss. Aber es gab wohl geschlechtermässige Unterschiede: Pfeifen und Zigarren blieben eher Männersache, während bei den Zigaretten die Frauen mächtig aufholten. Die Tabakfabrik an der Nidelbadstrasse gehörte fest zum industriellen Bestand Wollishofens. Viele Bewohnerinnen und Bewohner dürften allerdings nur gerade mit dem bei bestimmtem Wetter übers ganze Quartier sich ausbreitenden Tabakgeruch Bekanntschaft gemacht haben.


In den frühen 1960er Jahren – Henry sen. ging auf die 70 zu – kam es dann zu wichtigen Änderungen. Angedacht war wohl die Übertragung der Firma auf den Sohn. Jedenfalls erhielt Henry Weber jun. von Zürich, in Langnau am Albis, 1962 die Einzelprokura. Doch zwei Jahre später erhielt auch Schwiegersohn Otto Osterwalder-Weber von Zürich, der in Adliswil lebte, diese. Wie die beiden Schwager miteinander auskamen, ist nicht bekannt. Tatsache ist aber, dass bereits 1966 ein weiterer wichtiger Schritt passierte. Bedeutende Teile des Geschäfts wurden verkauft: Es übernahm die Waadtländer Firma Rinsoz et Ormond SA aus Vevey die Pfeifentabakmarken des Hauses Henry Weber AG, Zürich, «um am Verkauf auf allen drei Sektoren der Tabakindustrie teilzunehmen», wie es im Handelsregisterauszug heisst. Der Einzug der Firma aus dem Welschland in Zürich wurde in der Romandie gefeiert: Unter dem Titel «Tabac: expansion d'une fabrique romande» wurde im Journal du Jura im Oktober 1967 festgehalten, die Tabakfirma Henry Weber «à Wollishofen (Zurich)» habe ihre Tore geschlossen, die Firma Rinsoz et Ormond habe die Produktion in ihre neue Fabrik in Payerne verschoben, weshalb 20 Arbeiter «vingt ouvriers de l'entreprise zuricoise» nach Payerne hätten zügeln müssen.


An der Nidelbadstrasse verblieb zwar die Firma Henry Weber AG, doch man hatte plötzlich viel Platz, und so wurde im Oktober 1967 in der NZZ ein Inserat gesichtet, wonach an der Nidelbadstrasse 8 «540 m2 sonnige, gesunde Büro-/Geschäftsräume zu vermieten» seien. Im Jahr darauf wurde die Gesellschaft dann nochmals geändert: Aus der «Henry Weber AG» wurde die «Henry Weber Immobilien AG», und die Prokuren von Henry Weber jun. und Otto Osterwalder wurden gelöscht. Immerhin ging es für Henry Weber jun. weiter im Tabakgeschäft, indem im Juni 1968 eine neue Firma für Raucherwaren gegründet wurde: die «Waterkant Pipes» in Allenwinden (Gemeinde Baar), die später (1971) zur «H. Weber, Waterkant Flavors» wurde; ihre Geschäftsnatur lautete: «Fabrikation feiner Tabak-Aromen und Ingredienzen».


Indes: Das Tabakkapitel in Wollishofen fand in den frühen 1970er Jahren dennoch ein Ende. Im November 1972 verstarb Henry Weber sen. – 80jährig. Bis zu seinem Tod war er noch VR-Präsident gewesen. Im Handelsregister heisst es lapidar: «Henri Weber ist infolge Todes aus dem VR ausgeschieden, seine Unterschrift ist erloschen.» Seine Frau Rosa folgte ihm ein Jahr darauf: 1973 wurde sie im Friedhof Manegg bestattet. Henry jun. wurde zwar neuer VR-Präsident und Geschäftsführer, wohnte aber weiterhin im Kanton Zug (in Allenwinden und Unterägeri). Er starb indessen früh, 1986, erst 61jährig. Erben waren Hannelore und Oliver Weber, wohl Ehefrau und Sohn


Nidelbadstrasse 6/8. Ehemaliges Fabrikgebäude. Baujahr 1932. Foto: SB (19.1.2023)

Heute Wohnkomplex der Stiftung PWG.


Markengeschichte


Die Geschichte der Tabakfirma wäre ungenügend erzählt, würden wir nicht auf ihr Marketing, auf ihre Marketing-Geschichte näher eingehen. Henry sen. war offensichtlich ein früher Marketing-Pionier, sicher ein Autodidakt in diesen Dingen: seine Handschrift ist unverkennbar.


Als das Rauchen noch in war: Email-Schild für 24er-Tabak, im legendären gelb-roten Design. Aus dem Internet.


Schon der Import von Tabak brachte Henry in engen Kontakt mit den damaligen Gepflogenheiten des Marktes. Tabak war (ist) nicht einfach Tabak. Um möglichen Kunden (und Kundinnen) den Verkauf des eigenen Tabaks beliebt zu machen, musste man eine Geschichte erfinden, musste an die exotische Herkunft der Pflanze und die guten Eigenschaften des «gesunden» Naturprodukts erinnern. Wichtig war zunächst der Name – Grundlage jeder Marke: eine frühe importierte Marke von Henry hiess «Goldland». Später vertrieb die Firma die wohl bekannteste Tabakmarke in der Schweiz, den «Amsterdamer». Eigenen Tabak und Zigaretten vertrieb Henry unter dem Namen «24er» – 1924 erfunden…




Die Inserate waren meist sehr klein, fast immer mit dem Schattenbild des «24er‘s», häufig mit der lapidaren Aufforderung: «Verlangen Sie den frischen, guten 24er Tabak!». Weber glaubte aber auch ans Wort, an ein kurzes, schlagendes Argument. Einige der Slogans sind lustig, einige fast poetisch, meistens aber einfach gut formuliert, geschliffen, argumentativ:


  • Jede Pfeife ein Vergnügen

  • Er strahlt vor Vergnügen, am 24er Tabak muss es liegen!

  • 24er Pfeifentabak: Sehr beliebt, weil er seine Raucher beliebt macht!

  • Ein männlicher Tabak, aber weiblichen Nasen angenehm.

  • Unsere Raucher werden oft gefragt: «Wie heisst Ihr herrlicher Tabak?»

  • Brasil-Tabak für 35 Rappen. Erschwinglich für Ritter und Knappen!

  • So ist’s am schönsten! Fischen und eine Pfeife mit dem rassigen 24er Tabak vom Henry Weber!

Man merkt es: Es war nicht einfach, immer kurz zu bleiben. Teils wurden die argumentativen Texte auch zu lang – mindestens nach heutigem Empfinden. Etwa wenn ein Ehe-Dialog in Schreibmaschinenschrift fast ein kleines Drama abgibt:


«Sie: ‚Was, schon wieder so teuren Tabak … ich merk’s am Aroma!‘ Er: ‚Gefehlt! Es ist 24er vom Henry Weber, gar nicht teuer, aber rassig und famos.‘»



Die Inserate erschienen in Tageszeitungen ebenso wie in Illustrierten. Besonders häufig scheinen sie im Nebelspalter gewesen zu sein: Vielleicht gab es empirische Untersuchungen, die Nebelspalter-Leser besonders als Pfeifenraucher ausmachten?


Eine solche Strategie wäre Henry Weber absolut nicht fremd gewesen!











Aus: Nebelspalter (1938).



Doch nicht nur mit Inseraten, offensichtlich auch im persönlichen Kontakt hatte Henry sen. ein Flair, ein Marketing-Charisma. Das kommt in einem ganz unverdächtigen Zusammenhang zum Ausdruck. In einem persönlichen Rückblick eines Aktivsoldaten, der im 2. Weltkrieg in Kilchberg stationiert war, ist uns folgende Anekdote erhalten. Max Märki aus Salenstein schrieb 1979 in einer Ostschweizer Regionalzeitung: «Nicht weit von Kilchberg, an der Grenze von Wollishofen, steht die Webersche Tabakfabrik, wo die Päckchen «24er» Pfeifentabak herkommen. Irgendjemand wusste, dass Herr Weber zu Reklamezwecken Tabakmuster und Pfeifen an Soldaten verschenkte, wenn man bei ihm vorsprach. Das taten wir denn auch; verbanden eine Geländeübung mit einem Marsch gegen Wollishofen, wurden vom Geschäftsinhaber freundlich begrüsst und mit Tabak und einigen Pfeifen beschenkt.»* Die persönliche Erinnerung zeugt vom totalen Marketing-Einsatz des Firmenchefs – gerade auch in der beklemmenden Zeit des Krieges. Nicht nur benutzte er die interessierten Soldaten als Werbeträger und versorgte sie kostenlos mit seinen Produkten, er gab den jungen Männern auch ein Rollenvorbild ab: für ein genussreiches friedliches Leben mit Pfeife…


Henrys Einsatz für ein besseres Leben


Diese praktisch-philosophische Ader von Henry sen. wird durch eine andere seiner Aktivitäten bestätigt. Scheinbar ganz unabhängig von seinem Tabak-Unternehmertum verfolgte er die Frage, wie die Natur der menschlichen Gesundheit zugutekommen könne. Welches Heilpotential für die Gesundheit die Natur bereithalte.


Zeuge dieser Aktivitäten ist zunächst eine Veröffentlichung, die in vier Auflagen – im Selbstverlag – produziert und verkauft wurde: «Fingerzeige der Natur», 1941 erstmals in Zürich erschienen, gedruckt in Wollishofen, in der Druckerei Schürch (Etzelstrasse). Das Werkchen mit dem Untertitel «Wertvolle Winke für Ihre Gesundheit» umfasst 112 Seiten. Zentral sind Themen wie Erdmagnetismus und daraus abgeleitet die Frage der Erdstrahlen – und möglicher Abwehrmassnahmen gegen schädliche Wirkungen derselben. Daneben kommen aber auch die Vorzüge von Dörrobst, die Chancen von Bädern, die Heilkraft der Luft zur Behandlung. Das Werk ist wohl Solitär geblieben – eine weitere Publikation ist jedenfalls nicht bekannt.



Publikation Henry Weber. Sammlung MZ.


Der Einsatz für den Schutz vor schädlicher Erdstrahlung ging allerdings weiter. Weber entwickelte eigens Schutz- und Abwehrgeräte gegen diese Naturgefahr: Bekannt sind Abwehrgeräte aus Kupfer zum «Entstören» ganzer Wohnräume sowie Vorrichtungen zur Verbesserung des Schlafes. Aus dem Jahr 1953 ist eine Patentanmeldung für eine «wärmeisolierende Unterlage» erhalten, Inserate weisen auf «Schutzmatratzen» hin, auf der man im Schlafe vor den Strahlen geschützt werden sollte. Noch in den 1950er Jahren verkaufte Henry Weber solche Vorrichtungen von der Nidelbadstrasse 8 aus in alle Welt bzw. an interessierte Kunden. So berichtete etwa «Die Tat» am 17.12.1955 unter dem Titel «Erdstrahlen»: «Wenn Wasser unter einem Hause durchfließt ... so kann keine Instanz behaupten, daß das für die Gesundheit gleichgültig sei! Schirmen Sie deshalb Ihr Bett ab mit der Weber-Platte. Einfach Fr. 6.60. Doppelt, auf Holzrahmen montiert, 24. Prospekt durch Henry Weber, Nidelbadstraße 8, Zürich 38, Telephon 051 / 45 18 88.»


Schade, dass von Henry Weber kein Nachlass erhalten ist. Auch die Firmenunterlagen dieser innovativen Unternehmungen sind nicht auf uns gekommen. Zweifellos war aber Henry Weber eine äusserst interessante Wollishofer Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts.




(SB)


 

* Bote vom Untersee und Rhein (31.12.1979). Mein Aktivdienst in der Armee 1939-1945, von Max Märki, Salenstein.











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