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HAMOLE

Aktualisiert: 7. Mai 2023

«Hüt nomittag han i chönne ä chli hamole.»


Meine Frau, dialektbewusste Bernerin, erklärt beim Abendessen unsern Kindern ihren Nachmittag, den sie auf der Terrasse zugebracht hat. Die Kinder mit ihrem Züritüütsch verstehen die Mutter mit ihren Berner Brocken gut. Doch «hamole» kennen sie nicht, trotzdem keine Nachfrage. Der Satz hat sich aus dem Zusammenhang reibungslos verstanden.


Ich selber, Zürcher seit Geburt, kannte «hamole» nicht. «Hamol» ist mir allerdings ein Begriff, obwohl ich mich nicht erinnere, je eine Tube oder Flasche dieser Substanz in der Hand gehabt zu haben. «hamole» finde ich in keinem Wörterbuch, wohl aber hat es die «Hamol-Stellung» bis zu einem Eintrag auf Wikipedia gebracht!


Jeder Wollishofer, jede Wollishoferin sollte Hamol kennen.


Seestrasse 513. 1979. Baugeschichtliches Archiv Zürich.


Das Fabrikgebäude an der Seestrasse 513 war jahrzehntelang Heimat und Produktionsort von Cremen und Salben – und von Reinigungsmitteln. Erbaut wurde es 1904 von der 1897 gegründeten Firma Neunreiter als «Chem. Laboratorium und Versuchsstation für Handel und Industrie Zürich-Wollishofen»; im Adressbuch wird als Eigentümer allerdings «Gottfried Diesser-Neunreiter, Chem. Laboratorium» genannt.*


Werbekarte fürs «Neureiter'sche Chem. Laboratorium».

Sammlung MZ. Gelaufen am 7.9.1907.


Seit diesen Anfängen war das Haus ein Ort für die Chemie; die Firma Hamol AG, die 1928 in Stein am Rhein gegründet worden war, zog später hierher nach Wollishofen. Ursprung der Geschäftsidee von Hamol war die Hautpflegecreme des Drogisten und Kaufmanns Julius Otto Maag, der in seiner Apotheke «zum Mohrenkönig» in Stein am Rhein Hamamelis als Zaubermittel für gesunde Haut einsetzte.**


Berühmt wurde Hamol auch durch seine Werbung. Hamol hätte das Zeug gehabt zum echten Konkurrenten von Nivea und Co. auf dem Weltmarkt. Produktion und Vertrieb zahlreicher Cremen waren sehr erfolgreich, insbesondere die «Hamol Ultra», die 1936 entwickelt wurde. Sonnenbaden war in jenen Jahren «in», man und frau befreiten sich von früheren Zwängen und Einengungen. Die Bade-kultur florierte, man ging in Lichtluftbäder und wollte «braun» werden.

Kein Sonnenbrand – beileibe nicht! «Sünnele» ohne Sonnenbrand, das war die Devise von Hamol.


Zürich Wollishofen. Seestrasse 513. Aufnahme MZ (20.8.2021).


Auf dem Webeplakat von Rutz sitzt die junge Frau, die Beine angewinkelt, mit zurück-gelehntem Oberkörper, das Gesicht ideal der Sonne zugewandt. Daraus entwickelte sich die «Hamol-Stellung», die sogar Schweizer Weltautoren wie Martin Suter verwendeten (Montecristo, S. 16). Doch anders als das zürichdeutsche «Butsch» von «putschen», das nach dem «Zürich-Putsch» 1839 in die Weltsprachen einging, dürfte «hamole» und «Hamol-Stellung» eine Schweizer Eigenart bleiben – die allerdings unter Denkmalschutz gestellt gehört!!

Werbeplakat Hamol. Grafik: Viktor Rutz, 1940.


1970 gab es Hamol-Produktionsstätten neben Zürich in Barcelona, Stuttgart, Lissabon, Amsterdam, Mailand und London; das Unternehmen beschäftigte über 1000 Mitarbeitende! Der Aufstieg war kometenhaft, doch auch Kometen fallen! Schon früh wurde begonnen, erfolgreiche Produkte als Lizenz zu verkaufen. So wurde die Substanz ausgehöhlt – die Liquidation erfolgte aber erst in unserem Jahrhundert. Heute existieren noch Reste des einstigen Konzerns, so die 1966 gegründete Hamol Cosmetics Syria.


Die Liegenschaft Seestrasse 513 wurde verkauft, lange Zeit war hier der Sitz der Werbe-agentur GGK. Tempi passati!



(SB)

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* Im Adressbuch 1905 lautet der Eintrag für G. Diesser: «G. Gottfried Diesser-Neunreiter, Vorstand d. Chem. Laboratoriums und Versuchsstation für Handel und Industrie, Direktor der chem. Untersuchungsstation des schweiz Malermeister-Verbandes, gerichtlich vereid. als Sachverständg., Wollishofen, Seestr.395.»


** Eine Wollishofer Leserin mit Jahrgang 1937 erinnert sich: «Ich sehe das Dösli noch jetzt in Mutters Hand. Aber vor allem ist mir geblieben, dass oft durch Wollishofen ein sehr unangenehmer ‚Duft‘ zog: ‚Es schtinkt wieder vo dä Hamol! Das isch das cheibe chemisch Züüg, aber si isch halt eifach guet.‘ Viel lieber hätten wir den Schoggiduft von Kilchberg, von der ‚Lindt und Sprüngli‘ gehabt, aber der schaffte es nicht bis an die Kalchbühl-strasse.»

Zur Geschichte des Hauses vergleiche auch Neujahrsblatt des Zürcher Heimatschutzes 2015.

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