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GEGENSTROM AM HORN

Das Wollishofer Horn ist das Delta des einstigen Hornbachs, der südlich auf dem höchsten Punkt Kilchbergs, der Hochweid, südlich der Kreuzstrasse entspringt, am Hof Stocken vorbei zum Gebiet Bächler bzw. Obere Hornhalde floss, um dann steil zum See zu stürzen.


Das Gebiet oberhalb des Horns, bergwärts der Grenze zu Kilchberg entlang, ist eine vorzügliche, attraktive Wohnlage. Bis ins 19. Jahrhundert waren die Hänge mit Reben bewachsen, der Blick auf den See und die Berge war schon immer schön. Einst plätscherte der Hornbach, so schreibt es Conrad Escher, «still» gegen den See herunter. Das dürfte bei Regenwetter zwar etwas weniger still gewesen sein, doch nehmen wir zur Kenntnis, was Escher im Jahr 1906 vom unteren Hornbachtobel und dem dortigen Weg erzählte: «Dieser Fußpfad war früher ein landschaftlich ungemein lieblicher, ein Weg durch ein stilles, malerisches Tobel und ein sprudelnder Bach zur Seite.»

 

Das können wir uns heute fast nicht mehr vorstellen. Heute ist der Bach stark eingedolt. Nur beim Hof Stocken sowie beim Kilchberger Wohngebiet «Im Bächler», am Bächlerweg, wird er noch offen geführt. Zu Eschers Zeit war offenbar bereits beschlossen, dass der Bach auch im steilen Stück eingedolt und das Tobel aufgefüllt werden sollte. Jedenfalls war der Schreiber unzufrieden und meinte:

«Man hat oben an der Kilchbergstraße den Bach eingedeckt, und es wird nun die Schlucht über demselben nach und nach zugefüllt. Eine häßliche und schmutzige Ablagerung breitet sich aus, indem zerbrochene Haushaltungsgegenstände und Geschirr von allen Seiten hierhergetragen werden.»

Ein Foto hat der Berichterstatter davon leider nicht aufgenommen, nur von der Oberen Hornhalde gibt es ein schönes Foto von 1906 – ländliche Idylle pur in Wollishofen!


Obere Hornhalde. Um 1906. Foto Julius Maurer. CSZ 20.10.1906.


Heute sieht man nichts mehr vom Bach. Sein Wasser fliesst in einer Röhre hinunter zum See. Aus einigen Dolen an seinem Weg rauscht es noch, wenn man gut hineinhört. Es wäre schön, wenn das liebliche Tobel wieder hergestellt werden könnte! Anderswo wurden Eindolungen von Bächen ja wieder rückgängig gemacht.

 

Interessant ist nun, dass das Rohr mit Kilchberger Meteorwasser nur eine von zwei Röhren im Bereich der Hornhalde ist. Eine zweite Röhre strömt in der Gegenrichtung. Als Zürich gross wurde und viel mehr Wasser brauchte, als man aus der Limmat schöpfen oder von den Quellen der Umgebung (insbesondere im Sihl- und im Lorzetal) beziehen konnte, kam man auf die Idee, Seewasser als Trinkwasser zu gewinnen. Dazu standen Anfangs des 20. Jahrhunderts die nötigen Technologien bereit, man wusste, wie das Wasser zu reinigen, zu «filtern», wäre (Stichwort: Doppelfiltration!). Und so baute man im Moos in Wollishofen ein richtiges Seewasserwerk.


Ein Seewasserwerk fürs 20. Jahrhundert


Zwar war schon früher versucht worden, Wasser vom See als Trinkwasser zu gebrauchen, aber eine schreckliche Typhusepidemie von 1884 machte sowohl die Entnahme aus der Limmat als auch aus dem See verdächtig. Erst eine Taskforce aus Wissenschaftlern der ETH widerlegten die generelle Unbrauchbarkeit, forschte nach den besten Methoden der Filterung und schlug den Ausbau eines grossen Seewasserwerks vor, das dann eben an der Albisstrasse erbaut wurde, hart an der Grenze zu Adliswil.


Eine schöne Darstellung der Geschichte der Trinkwasserversorgung Zürichs stammt von Jean-Daniel Blanc: Trinkwasserversorgung für Zürich. 100 Jahre Seewasserwerk Moos.* Blanc beschreibt auch die Vor- und die Nachgeschichte des Wollishofer Werks. Dieses schloss nach seiner Meinung eine suchende und unsichere Vorgeschichte mit zahlreichen Varianten und Erprobungen ab, setzte klar auf die Verwendbarkeit von filtriertem Seewasser, nennt es «ein Seewasserwerk für das 20. Jahrhundert» und meint: «Das Seewasserwerk Moos stellte in seiner 1914 errichteten Form ein industrielles Ensemble aus einem Guss dar.»


Hart an der Grenze zu Adliswil? Das ja, aber gar nicht in der Nähe des Seeufers! Weshalb? Am Seeufer selbst war eben kein Areal mehr zu finden für die grosse Fläche, die ein solches Wasserwerk für die Aufbereitung des Wassers benötigt. Also musste man auf das Areal beim grossen Moos ausweichen. Aber wie sollte nun das Wasser vom See her zum Wasserwerk gelangen?


Taucher montieren Ansaugrohr beim Wollishofer Horn. 1913. Foto: Adolf Moser. BAZ


Das Ansaugrohr im See wurde beim Wollishofer Horn platziert. Dort sollte Wasser, das von der saubersten Stelle im See – vor dem Kilchberger Mönchhof – stammt, an Land gesaugt werden und mittels Pumpe auf die Höhe der obern Hornhalde gehoben werden (über 55 m Höhendifferenz). Noch heute steht beim Tennisplatz, vorne an der Strasse, ein eigentümlich einsames und scheinbar funktionsloses Häuschen, das den Verlauf des Rohrs markiert und in dem das Wasser aus dem Rohr in den unterirdischen Kanal fliesst. Dieser Kanal ist ein immenser Wassertunnel – man erzählt mir, man könne darin aufrecht gehen –, unter dem Neubühlhügel durch (das Neubühl mit Jahrgang 1931 war noch nicht erstellt) bis zum Seewasserwerk auf der andern Seite der kleinen Moräne. Die Neigung des Tunnels ist ab dort genau so eingerichtet, dass das Wasser für diesen Weg keine Pumpe mehr braucht.


Zur Baugeschichte dieses Wollishofer Untergrunds berichteten die Neuen Zürcher Nachrichten am 19. Juli 1913: «Der Kanal und Wassertunnel zwischen Hornhalde und Moos wurde am 23. März [1912] vergeben. Die Tunnelanfänge waren in der nassen und stark drückenden Moräne ziemlich schwierig; aber nur etwa zwölf Meter waren auf jeder Seite zu durchfahren, bis die gewachsene Süßwassermolasse getroffen wurde, die zwar weich und brüchig, aber nicht drückend war. Ende Dezember fehlten zum Durchschlag des Stollens noch rund hundert Meter; etwa 275 Meter waren bereits ausgemauert.»


Baustelle beim Horn für Seewasserwerk. 1913. Foto: Adolf Moser. BAZ.


Pittoresk, weniger an Zürich denn an den Wilden Westen erinnernd, war die Baustelle, am Horn. Eine Seilbahn ermöglichte Materialtransport entlang dem Druckstollen, vom Horn zum Moos. Das war ein «Seilbähnli» in Wollishofen vor jenen der Landi oder der Saffa! Die NZZ berichtete darüber am 14. Juli 1913: «Die Luftseilbahn ist für eine Stundenleistung von zehn Kubikmeter Sand oder Kies berechnet, und sie bewältigt diese Mengen auch anstandslos in der vorgesehenen Zeit, seit sie im August dem Betrieb übergeben wurde.»


An der Hornhalde versucht die Welt ein Perpetuum mobile! Hier wird Kreislaufwirtschaft par excellence gelebt. Richtig? Eher nein. Zwar geht Wasser rauf und Wasser runter. Und die beiden Rohre dürften an der Halde genau parallel sein. Aber sie haben (fast) nichts miteinander zu tun. Und einen direkten Kreislauf bilden sie erst recht nicht…




Sebastian Brändli


Jean-Daniel Blanc: Trinkwasserversorgung für Zürich. 100 Jahre Seewasserwerk Moos. Orell-Füssli-Verlag, Zürich 2014.

Martin Illi. Seewasserwerk Moos. In: Vom Grabhügel zur Ökosiedlung. Hg. von Roland Böhmer, Sebastian Brändli, Martin Leonhard und Peter Niederhäuser. Zürich 2007, S. 408f.



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