Der Flurname «Manegg» ist vieldeutig, er kommt am Albis und in Wollishofen mehrfach vor. Die älteste Verwendung gilt der Burg Manegg, die anfangs des 13. Jahrhunderts von der Familie Manesse erbaut wurde. Man sieht noch heute Reste der Burganlage, allerdings kommt man nicht leicht hin: die Burg lag auf einem Gratausläufer am nördlichen Rand der Fallätsche. Was bedeutet der Begriff Manegg, wie hängt er mit dem Familiennamen Manesse zusammen? Wie kommt der Ortsname ins Quartier Wollishofen?
Eine Spurensuche.
Meines Wissens die älteste Darstellung der Burg Manegg. Stadtansicht von Hans Leu d. Ä. (Ausschnitt). Original im Schweizerischen Nationalmuseum. Um 1500. Ausschnitt.
Familie Manesse
Zunächst zur Familie Manesse. Die Etymologie leitete lange den Familiennamen von Mann-Esser, also Menschenfresser, ab. Auch die Heraldiker unterstützen diese These, indem sie die beiden Kämpfer auf dem Wappen der Manesse eben so deuten, dass der eine den anderen besiegt - und danach verspeist? Die Etymologie fasziniert mich zwar immer, doch es ist frustrierend, wenn eine Deutung so unmoralisch daherkommt... Aktuell ist die Etymologie zurückhaltender, eine klare alternative Deutung hat sich aber bisher nicht durchgesetzt.
Wappen der Manesse, Umzeichnung aus der Zürcher Wappenrolle.
H. Runge meint im Vorwort zum Werk ,,Die Wappenrolle von Zürich", herausgegeben von der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich: «Manesse Nr. 234 - hat zwei kämpfende Männer, von denen der Eine in den späteren Abbildungen eben unterliegt und niedergedrückt wird; der Name bedeutet nämlich wörtlich nichts anderes als Menschenfresser, und konnte kaum besser, als geschehen, angedeutet werden.»
Mehr wissen wir von der Geschichte dieser für Zürich so wichtigen mittelalterlichen Familie. Die Manesse waren ein Rittergeschlecht, wohl Dienstadel der Grafen von Eschenbach, denen wir in der Wollishofer Geschichte auch schon begegnet sind (Obervogtei). Schon früh wurden die Manesse auch Bürger von Zürich. Zwei Familienoberhäupter ihres Geschlechts wurden zudem Bürgermeister, im Rat sassen über Jahrhunderte fast immer Vertreter der Manesse – vor und nach der Brun'schen Zunftrevolution von 1336. Die Familie wohnte als Rittergeschlecht auf der Burg Manegg, als Ratsherren in der Stadt – ihr Wohnturm stand etwa dort, wo heute vor dem Café Schober ein kleines Plätzchen frei steht.
Um 1300 war Bürgermeister Rüdiger Manesse, «der älter», die «graue Eminenz» in Zürich. Ihm und seinem 1297 verstorbenen Sohn Johannes schreibt die heutige Forschung die Herausgabe des Codex Manesse, der Manessischen Liederhandschrift, seit 1888 fest verwahrt in der Heidelberger Universitätsbibliothek, zu. Über diese und dank dieser Sammlung von Minnesängern und ihrer Werke weiss man wenig und viel: Wir wissen kaum Genaueres über Herausgeber, Autoren, Schreiber und Illustratoren; wichtige Minnesänger, wie etwa Johannes Hadlaub, kennen wir aber nur durch diese Handschrift. Der Bezug zu Zürich und den Manesse ist allerdings im Text selber vorhanden, indem Hadlaubs 2. Lied dem Vater Rüdiger und dem Sohn Johannes dankt für ihre Arbeit und Zürich rühmt für die «Lietbuochen» (Liedersammlung). Andere beteiligte Personen werden in der ganzen Schrift nicht erwähnt, und auch keine anderen Städte.
Codex Manesse. Um 1300. Ausschnitt aus Lied Hadlaubs. «Zürich» auf Zeile 6.
Rüdiger Manesse hatte vier Söhne. Er wohnte noch auf der Manegg, aber auch in der Stadt; gemäss Stifterbuch des Jahrzeitenbuchs des Grossmünsters starb er 1304. Die Manegg blieb weiter in der Familie, ein weiterer Rüdiger (Nummer IV) wurde im 14. Jahrhundert erneut Bürgermeister. Er war der Held der Schlacht von Dätlikon, wo er die Feigheit Bruns kompensierte und die Zürcher zum Sieg führte. Gottfried Keller schreibt über Rüdiger IV:
«Dieser Manesse starb hochbetagt, wenn ich nicht irre, um das Jahr 1380; mit ihm sank aber der Stern jener Linie; seine Söhne lebten sternlos dahin, wie alles ein Ende nimmt, und namentlich Ital, der jüngste, ist es, der die Burg hier verloren hat. – Gleich seinen Vorfahren war Ital Manesse ein anmutender und begabter Mann; allein es mangelten ihm Geduld und Vertrauen; es war, als ob er den Niedergang und das Aussterben des Geschlechtes hätte ahnen und befördern müssen. Bei keiner Verrichtung und Tätigkeit konnte er ausharren, von jedem Geschäft trieb ihn die Unruhe, abzuspringen, und er schlüpfte allen, die ihm wohlwollten, ängstlich aus den Händen, wenn sie ihn festzuhalten glaubten. So gingen seine Umstände stets rückwärts. Ein Besitztum, Hof- und Landgut nach dem andern mußte er dahingeben und geriet immer tiefer in Schulden, und weil er dabei ruhelos lebte, so nannte man ihn allgemein den ›Ritter Ital, der nie zu Haus ist.»*
So verlor die Familie zusehends an Geld und Einfluss. Der genannte Ital musste kurz vor 1400 wegen Schulden die Pfändung der Burg Manegg akzeptieren, nachdem er noch 1385 beim Verkauf von Grundstücken im Wald bei der Fallätsche einen Weg von der Veste (Festung) Manegg «zwei Spiess breit» von der Burg bis zum Albispass beansprucht hatte.
1393 beurkundeten «Bürgermeister, Rat und Zunftmeister der Stadt Zürich» den Besitzerwechsel: Die Veste Manegg wurde wegen Zahlungsunfähigkeit gepfändet. «Auf Klage der Gläubiger wurden die Pfänder vergantet und dem Meistbietenden, dem Zürcher Bürger Vifli dem Jud, für 5 Goldgulden zugeschlagen.» Vifli konnte den Kaufpreis mit Itals Schulden verrechnen!** Er hatte keine Verwendung für das Anwesen, konnte die Burg aber bald verkaufen: das Kloster Selnau besass im Albisgebiet mehrere Höfe, was ihren Kauf allerdings nur teilweise erklärt; die Burg blieb bald unbewohnt und wurde zur Ruine.
An Stelle der Burg Manegg am Albis: Denkmal Gottfried Kellers, errichtet 1919. (Foto 14.4.2024)
Heute sind keine Fundamente mehr sichtbar, nur noch die Burgstelle ist als Rast- und Spielplatz gestaltet, mit den obligaten Bänkli – und einem Denkmal für Gottfried Keller (in Erinnerung an die Erzählungen über Hadlaub und den Narren auf der Manegg). Es ist schwer zu glauben, dass an diesem verlassenen Ort einst die Häupter des berühmtesten Zürcher Rittergeschlechts der Manesse hausten.
«Manegg» in Wollishofen
Die Manesse waren zwar ein wichtiges Geschlecht, dessen Burgstall auf dem Gebiet der späteren Obervogtei Wollishofen stand, sie waren aber nicht «die Herren von Wollishofen» – das waren andere, vor allem gab es ja das Herrengeschlecht derer «von Wollishofen». Als begüterte Familie mit Sitz auf der Manegg und in der Stadt besassen die Manesse aber Güter in Wollishofen, bekannt ist vor allem das «Gut von Johans Maness», wie es in einer Urkunde von 1397 heisst (heute im Staatsarchiv**). Dieses Maness-Gut lag in der Erdbrust.
Wie der Ortsname Manegg von der Burg in die Ortschaften Leimbach und Wollishofen wanderte, ist kaum auszumachen.*** Auffallend ist aber die Häufung des Begriffs in Wollishofen: Nicht nur heisst das 1942 erbaute Schulhaus Manegg, auch wurde 1955 eine Wohnsiedlung so benannt. Zudem heisst die Station der Sihltalbahn zwischen Sihlcity und Leimbach so. Neuerdings hat ein ganzes Quartier den Namen angenommen. Greencity bei der Station Manegg der Sihltalbahn heisst auch Quartier Manegg.
Sebastian Brändli
* Gottfried Keller legte diese Worte in seiner Erzählung «Der Narr auf Manegg» dem ehrenwerten Herrn Jacques in den Mund (Einleitung).
** StAZH C II 18, Nr. 540, 10.02.1393 sowie StAZH C II 18, Nr. 559 b, 31.08.1397.
*** Wollipedia-Leser M.R. hat eine Hypothese. Er schreibt: «Der rechtsufrige Landblätz hiess noch im 19. Jh. Obere Allmend (Wollishofen, im 20. Jh. stand dort die Zimmerei LOCHER), während der südliche Teil (Leimbach) im Zuge der Industrialisierung (Papierfabrik) samt Wohnhäusern bereits seit 1900 Manegg genannt wurde, gleich wie der Bergvorsprung mit der Ruine. – Die Quartiergrenze verläuft entlang des Kanalauslaufs der Wasserturbine der Papierfabrik. Mein Vater, dort zwischen 1934 und 1948 aufgewachsen, hatte uns die Ortsgeschichte oftmals bei Spaziergängen vor Ort im Detail erklärt.» Vielen Dank für diese Information, die den Gang des Begriffs vom Berg hinunter bis zur Sihl dokumentiert!
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