Am Anfang von Wollishofen steht der Alamanne Wolo. Doch von Wolo wissen wir nur, dass er Hofbesitzer war. Über die Besiedlung des ganzen Geländes am See und an den Abhängen des Entlisbergs wissen wir nichts aus jener Zeit. Greifbar werden die politischen Verhältnisse erstmals mit den Herren von Wollishofen, einem Adelsgeschlecht, das auf dem Gebiet des heutigen Quartiers ansässig gewesen sein dürfte. Wo genau, ist schwer zu entscheiden. Die Geschichtsforschung war bisher am ehesten der Meinung, der Hof der Herren von Wollishofen (bzw. deren «Burgstall») sei auf der Anhöhe des Quartier «auf dem Rain» gestanden (siehe Blog: «Auf dem Rain»). – Genauso gut begründet wäre indessen die Lokalisierung der Burg beim Honrain – Rain und Honrain, letzterer als «Hohen Rain», liegen sprachlich ja auch nahe beieinander. Beim Honrain stand jedenfalls auch eine Kapelle, was die Nähe der Burg – eines festen Hauses – auch begünstigt; so sieht es jedenfalls der Autor der «Memorabilia Tigurina» von Hans Heinrich Bluntschli (Anno 1742, S. 550), weil dort «Römische Pfenningen, Menschen-Gebeinen, Rosseisen, Mauren und Estrich, an diesem Orth» gefunden worden seien.
Relativ gut fassbar ist Wernher von Wollishofen. Er war der letzte Vertreter seines Geschlechts, war aber weniger am lokalen Geschehen interessiert. Vielmehr studierte er zehn Jahre an der Universität Bologna und wurde nach seiner Rückkehr Chorherr der Stifte in Beromünster und des Zürcher Grossmünsters. Er dürfte deshalb nicht mehr in Wollishofen selber gewohnt haben. Trotzdem hat die Strassenbenennungskommission im Jahre 1910 der Werner-Strasse in Würdigung dieses Ur-Lokaladligen ihren Namen gegeben. Das kann man zwar nicht an einem Strassenschild ablesen, wohl aber im Strassennamenbuch Zürichs nachschlagen.
Strassenschild Wernerstrasse (richtig wäre Wernherstrasse, und besser wäre auch ein Text*). Fotograf SB (10.3.2021).
Mit Wernher stirbt das Geschlecht der Herren von Wollishofen aus. Todesjahr: 1324. Die Herrschaft Wollishofen kam in andere Hände: sie gehörte den Herren von Eschenbach, dem Ritter Rüdiger von Manesse und anderen adeligen Herren – je später, desto engere Bindungen ergaben sich auch mit der nahen Stadt. Der letzte adelige Besitzer der Rechte in Wollishofen war ein Johannes Stucki, genannt der Ältere. Schon beim Kauf der Rechte im Jahre 1395 spielte die Stadt die Rolle des Lehensherrn: in der Urkunde, die im Staatsarchiv liegt, heisst es nicht, Stucki kaufe dem Vorbesitzer die Rechte ab, sondern er übernehme die städtische Leihe, die «im Namen des Königs Wenzel und des Reichs» erfolge (Urkunde C I, Nr. 3087). Stucki, der auch Bürger der Stadt war, übergab knapp 30 Jahre später Wollishofen an die aufstrebende Reichsstadt Zürich – es war das Jahr 1423. Wollishofen war damit eines der ersten Gebiete, das rechtlich zur expandierenden Stadt gehörte.
Wollishofen als Obervogtei des Zürcher Stadtstaates
Wollishofen wurde in die Regierung der Stadt Zürich integriert, und zwar als Obervogtei, militärisch als Wacht. Im 15. Jahrhundert trennten sich Enge und Wollishofen als zwei Wachten, blieben als Obervogtei aber zusammen. Die beiden Obervögte – es waren immer deren zwei, die sich in der Verantwortung ablösten, die Geschäfte aber meist gemeinsam bearbeiteten –, waren für alle Belange, in denen Wollishofen von der Stadt abhängig war, zuständig. Anders als die Landvögte wohnten die Obervögte in der Stadt. Als erster Obervogt Wolllishofens wird Rudolf Trotter angenommen. In Urkunden des Jahres 1423 erscheint auch ein «Cuonrat Akli, Vogt zu Wolleshofen». Ob Akli der zweite Obervogt war oder der Untervogt, ist kaum zu entscheiden.
Bis 1798 blieb die politische Verfassung Wollishofen betreffend unverändert. Für die internen Belange wurde ein Untervogt gewählt, die versammelte Mannschaft durfte unter der Leitung der Obervögte dafür den sog. Dreiervorschlag machen – ein Stück vormoderner Gemeindedemokratie, die allerdings in den Grenzen des «Ancien Régime» blieb, indem der städtische Rat aus der Dreierliste den zukünftigen Amtsinhaber bestimmte. In Wollishofen hiess der Untervogt häufig Asper, es kommen aber auch andere alteingesessene Familiennamen vor. (Schon bald ist auch ein Blog über die «Asper» geplant!)
Mit der Mediationsverfassung 1803 wurde Wollishofen zur eigenständigen Gemeinde. Als solche entwickelte es sich im Gleichklang mit Modernisierung und Industrialisierung prächtig, wuchs bevölkerungsmässig – wenn auch weniger als andere Vororte. Und es entwickelte sich wirtschaftlich – nicht zuletzt dank der neu errungenen Wirtschaftsfreiheit (die vor 1798 durch das städtische Zunftregime stark eingeschränkt war). Doch die neue Freiheit als eigenständige Gemeinde währte nicht lange, keine 100 Jahre. 1891 wurde Wollishofen durch kantonalen Entscheid der Stadt zugeschlagen (vgl. Blog «Schicksalsjahr 1891»).
Le Village de Wollishofen. 1794. Kolorierte Umrissradierung von Heinrich Bruppacher. Zentralbibliothek Zürich (e-rara-55676)
Nochmals kurz zurück zu den Zeiten der Obervogtei: Wichtig für Herrschaft und Verwaltung der Zürcher Landschaft waren damals auch die Pfarrer in den Gemeinden – ein Amt, das schon kurz nach der Reformation nur noch von Stadtbürgern bekleidet werden konnte. Die Pfarrer predigten nicht nur im Sinne des reformierten Stadtstaates, sondern sie nahmen auch eigentlich politische oder «staatliche» Funktionen wahr, sie führten die Kirchenbücher mit Taufen, Heiraten und Toten – eigentlich die Bevölkerungsregister – und sie verlasen nach der sonntäglichen Predigt die «Mandate», die neuen Gesetze, die der Rat erlassen hatte. In Wollishofen hatte insbesondere Pfarrer Schmutz (in Wollishofen 1746-1778) einen guten Namen, nicht zuletzt wegen seines beherzten Einsatzes für den Bau eines neuen Schulhauses, das die Schule von der Tavernenwirtschaft der Gemeinde trennen sollte.
(SB)
* Textvorschlag für kommentiertes Strassenschild Wernerstrasse:
Wernher von Wollishofen war der letzte Vertreter der lokalen adeligen Herrenfamilie.
Studierte in Bologna, war Chorherr in Zürich, starb 1324.
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