Wo finden sich die ältesten Siedlungsspuren Wollishofens? Abgesehen von den Pfahlbauern, versteht sich. Eine These besagt, dass die Burg derer von Wollishofen, eines frühen Adelsgeschlechtes, vielleicht direkt von Wolo abstammend (?), auf dem Hügel stand, der später «Rain» bzw. «uff Rain» bezeichnet wurde. Jedenfalls wurden dort, «auf der Höhe der heutigen Rainstrasse 10/12» gemäss den Autoren der Ortsgeschichte 1993 «altes Gemäuer» gefunden: «Es handelte sich wohl um einen Wohnturm, der von Palisaden und Graben umgeben war.» (S. 21). Diese Einschätzung hatten sie wohl von Conrad Escher, der bereits 1906 in der Zürcher Wochen-Chronik (8. September) schrieb:
«Mit Bezug auf den Ort Wollishofen selbst wird uns mitgeteilt, dass er im Mittelalter seine eigenen Edelleute hatte, die auf dem ‚Reyh‘ [Rain] eine Burg bewohnten. Sie besassen das Bürgerrecht der Stadt Zürich und waren ratsfähig, später auch mit der hohen Gerichtsbarkeit belehnt.» (Conrad Escher, 1906)
Rainstrasse 10/12. Fotograf unbekannt. Postkarte in Privatbesitz.
Wie dem auch sei! Die beiden denkmalgeschützten Bauten Rainstrasse 10 und 12, zwei aneinander gebaute Bauernhäuser, zeugen durch ihre Erhaltung jedenfalls auch für den heutigen Betrachter von der frühen Besiedlung des Rain-Hügels. Ein anderer Zeuge der frühen Besiedlung wurde leider 1957 für den Abriss freigegeben: Rainstrasse 15. In einem Beitrag fürs «Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 2011» habe ich die Geschichte der Rainstrasse von ihren spätmittelalterlichen Anfängen bis zur damaligen Gegenwart nachgezeichnet.* Die Anfänge der bäuerlichen Besiedlung konnte ich dabei auf einen – eben mittelalterlichen – «Widumshof» zurückführen, der spätestens anfangs des 16. Jahrhundert dem Kloster Kappel zinspflichtig war, der aber als Widum einer selbständigen Kapelle in Wollishofen seinen Anfang genommen haben dürfte. «Widum» ist ein «gewidmeter» Hof, also Grundeigentum, dessen Ertrag den Unterhalt einer Kirche – bzw. in unserem Fall einer Kapelle – gewidmet, zugesprochen war.
Wo genau diese «Capella Woleshoven» gestanden hat, entzieht sich allerdings unserer Kenntnis. Doch der Widumshof lag dort, wo später der Bauernhof Rainstrasse 15, vis-à-vis von Rainstrasse 10, stand. Dieser «alte Bauernhof» gehörte im 20. Jahrhundert einer Familie Müller, die über den Zweiten Weltkrieg hinaus Landwirtschaft betrieb, ohne Nachkommen jedoch den Hof aufgeben und in ein «Stöckli» umziehen wollte. So wurde in das halt schon in die Jahre gekommene Haus abgerissen! Schade!
Rainstrasse 15, 1957 abgebrochen. Baugeschichtliches Archiv Zürich.
Die Häuser im Weiler «Auf dem Rain» gehörten in der frühen Neuzeit zum Oberdorf Wollishofen. Die heutige Rainstrasse hat ihren Namen selbstverständlich von diesem Weiler. Es blieb bis 1800 bei drei Gebäudekomplexen: dem Widumshof, den Weinbauernhäusern 10/12 sowie einem Haus, das mit Rainstrasse 6 bezeichnet wurde; dies letzteres ist kaum auf Fotos abgebildet und wenig erforscht.** Im 19. Jahrhundert kamen neue Gebäude, so vor allem auch die heute noch stehende Rainstrasse 5 (mit dem Brunnen) dazu. In dieser Zeit führte auch ein Fussweg, grosso modo auf dem Trasse der heutigen Strasse, zum «Feld Letzi», wie das Gelände des heutigen Friedhofs Manegg auf alten Karten bezeichnet wurde. Dieser «Rain-Fussweg» avant la lettre wurde kurz nach 1900, als die ersten nichtbäuerlichen Wohnbauten auf der Hügelkuppe entstanden, zur Rainstrasse ausgebaut.
(SB)
* Die Rainstrasse in Zürich-Wollishofen. Vom mittelalterlichen Widumhof zur Wohnstrasse mit Tempo 20. In: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 2011. Zürich 2010, S. 285-309.
** Siehe inzwischen Blogs Maerki-Bapst und Rainstrasse!
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