In den «Denkwürdigkeiten von Stadt und Kanton Zürich» von 1845 heisst es: «Erdbrust. Diesen Namen führt eine Ortsgegend von etwa 10 Häusern in der Pfarrgemeinde Wollishofen, die zwischen dem Dorf und dem Mönchhof liegt.»
Die Erdbrust, manchmal auch Erdprust, Erdbrunst oder Aermbrust genannt, ist eine wichtige, frühe Siedlung in Wollishofen. Die frühesten namentlich bekannten Hofbesitzer stammen von hier, z. B. in einer Urkunde im Zürcher Staatsarchiv vom Jahre 1365, in der ein «Johans Inderhalden von Erdprust» genannt wird (StAZH C II 18, Nr. 405).
Erdbrust (Aermbrust) Wollishofen. Verlag Wehrli AG, Kilchberg.
Sammlung MZ. Gelaufen am 5.7.1906.
Der Flurname «Erdbrust» ist heute in Wollishofen kaum mehr anzutreffen. Nur gerade der Erdbrust-Weg, der vom Kirchhügel südwärts zum Schulhaus «Im Lee» an die Kilchbergstasse führt, zeugt noch von diesem einst wohl grössten Weiler Wollishofens.
Strassenschild Erdbrust-Weg auf dem Kirchhügel. Foto SB (25.1.2021)
Auch in der mündlichen Kommunikation braucht heute niemand mehr diese Bezeichnung. Dabei ist die Siedlung «Erdbrust» in der Geschichte Wollishofens nicht unwichtig. Als Wollishofen in der frühen Neuzeit wuchs, und in Wachten unterteilt wurde, wurde eine Wacht nach der Erdbrust benannt. Da ist es schön, dass wenigstens das Ortsmuseum in diesem Teil des Stadtquartiers an die Geschichte Wollishofens erinnert. Im Erdbrust liegt auch der letzte Bauernhof Wollishofens, der Schipferhof. Hoffen wir, dass der uns erhalten bleibt!
Erdbrust ist sozusagen «zweistöckig» – sowohl am See unten als auch auf der Höhe der Kilchbergstrasse gelegen, verbunden durch die Widmerstrasse. Zentrum war die rechtwinklige Kreuzung Kilchberg-/ Widmerstrasse mit Gebäuden in jedem Quadranten. Auf der Wildkarte, die den Zustand Wollishofens um 1850 festhält, ist erkennbar, dass die «Erdbrust» damit einer der grössten Weiler der Gemeinde war. Und es ist auch zu erkennen, dass ein «Erdbrust-Weg» vom Oberdorf an die Kilchbergstrasse – damals die alte Landstrasse – führte. Er war zwar etwas weiter südlich gelegen, die Ausrichtung ist aber ganz parallel zum heutigen Weg.
Wildkarte (um 1850). Ausschnitt Wollishofen-Erdbrust (hier Erdbrunst geschrieben)
«Galgenrain»
Und noch dies: Wer heute den besagten Erdbrustweg von der Egg hinunter geht, durchschreitet eine Wiese, die Galgenrain heisst bzw. hiess. «Rain» bedeutet dabei Abhang, sich neigendes Wiesland – was zutrifft –, «Galgen» erinnert, mindestens vom heutigen Sprachgebrauch her, an das Marter- bzw. Todesinstrument mittelalterlicher Justiz. Das könnte zur Vermutung führen, dass hier - am Eingang zur Erdbrust - der Galgen der Vogtei Wollishofen gestanden habe.
Diese Vermutung ist wohl nicht zutreffend. Der Jurist und Hobbyhistoriker Eric Siegrist, dem wir eine Sammlung von Orts- und Flurnamen von Wollishofen verdanken, verneinte jedenfalls diese Option. Dabei stützte er sich wohl auf Salomon Vögelin, der in seinem Buch über «Das alte Zürich», Band 2 (1890), ausführte: «Die Richtstätte für die zum Tode verurtheilten Verbrecher in der Vogtei Wollishofen resp. Enge, war nach der allgemeinen Sage der Galgen auf der Obertilli am rechten Ufer der Sihl.»
Galgenrain – ein schöner Flurname, aber wohl kein Hinweis auf die mittelalterliche Strafjustiz in der Vogtei Wollishofen...
(SB)
Comentários