SKI-CLUB WOLLISHOFEN
- Sebastian Brändli

- vor 2 Tagen
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Aktualisiert: vor 11 Minuten
Mit Richard Binggeli, 95jährig, verabrede ich mich in seinem schönen Wohnhaus in Kilchberg. Seine ersten Lebensjahre verbrachte der Architekt an der Tannenrauchstrasse in Wollishofen, bald zügelte der Vater, auch Architekt, mit der Familie nach Kilchberg an die Mythenstrasse. Mit Wollishofen blieben Vater und Sohn aber stets verbunden, als Nachbarn, mit Freunden und Bekannten, und über die Zunft. So bin ich über den Zünfter Hansruedi Lienhard auf Binggeli gestossen. Er öffnet mir die Tür, wir wechseln zwei, drei Worte, und schon läuft das Gespräch prächtig: Wir reden über Architektur und Architekturausbildung, über Wollishofen und seine Vereine, über Gott und die Welt. Aber eigentlich war ich doch bei Binggeli zu Besuch, um mehr über den Ski-Club-Wollishofen, kurz SKICLUWO, zu erfahren!
Ein Ski-Club in Wollishofen? Belegt ist ein «erstes Skirennen», das die «Ski-Sektion des Turnvereins Wollishofen» in Amden am 10. Februar 1924 durchführte. In Privatbesitz ist die Titelurkunde des Siegers erhalten: Max Benz. Dieser brauchte für die Abfahrtsstrecke genau 4 Minuten 4 Sekunden.

Titelurkunde des ersten Skirennens der Ski-Clubs Wollishofen. 1924. Privatbesitz.
Auch das zweite Rennen am 8. März 1925 ging an Benz. Er war zu Beginn einfach der Beste und nicht zu schlagen. Auch diese Titelurkunde ist erhalten. Auch sie ist mit einem Skifahrer als Illustration geschmückt. Leider wissen wir kaum mehr von dieser frühen Zeit. Wir wissen nicht einmal, wie viele Teilnehmer das Rennen bestritten, auch nicht, wie der Präsident hiess. Es scheint allerdings klar, dass die Mitglieder des Clubs aus lauter Männern bestanden – der «Ski-Club» war zunächst ja auch einfach eine Sektion des Männerturnvereins von Wollishofen. Aus späteren Dokumenten können wir erahnen, dass Albert Lienhard, der Gründer und Besitzer der Schreinerei Lienhard an der Albisstrasse 131, Mitglied des Clubs, treibende Kraft, und wohl auch der erste Präsident war.
Gemeinsamer «Spirit»
Und wir wissen auch, dass sich schnell eine initiative, sportliche, naturverbundene Truppe von Mitgliedern gefunden hatte; diese Information entnehmen wir der Hauptquelle für diesen Blogbeitrag: einem mit Spiralbindung versehenen Konvolut von Kopien eines (vorderhand) nicht auffindbaren Originals des «Hüttenbuchs» der «Ski-Sektion des Turnvereins Wollishofen». Hier die Titelseite dieser kulturellen Kostbarkeit:

Titelblatt des Hüttenbuchs der Ski-Sektion des Turnvereins Wollishofen. Privatbesitz.
Das Titelblatt enthält schon fast alles, was das ganze Buch auszeichnet. Wir finden darin farbige Texte, oft gedichtet, Berichte von Veranstaltungen und Reisen; und vor allem ist das Buch auf jeder Seite gestaltet, illustriert, manchmal nur mit einzelnen Randzeichen, manchmal aber auch mit veritablen Gemälden – mit aquarellierten Zeichnungen oder mit Comics-ähnlichen Spottbildern. Überhaupt ist Spott allgegenwärtig, man lacht gemeinsam, nimmt sich gegenseitig aufs Korn, und einer verfasst zum Schluss den Bericht, der im «Hüttenbuch» landet. Einige Berichte sind auch von mehreren Verfassern verantwortet – man sieht’s an der Handschrift.
Für die Zeit bis 1928 sind im Hüttenbuch leider kaum Informationen enthalten. Das Buch beginnt zwar im Januar 1924, mit einer «Wochenchronik», die aber nur gerade für Versliebhaber bestimmt ist, enthält sie doch lediglich gereimte Vierzeiler junger Männer, die gerade das ersehnen, was sie eben im Augenblick nicht haben. Im Sinne von:
«Student sein, das ist eine Plag
ach, wär ich doch ein Schreiner
der Taglohn wächst von Tag zu Tag
die Stundenzahl wird kleiner.»
Zwölf solcher Verslein sind es, das letzte: «Diese Chronik diktiert ein Vagabund – es schreibt sie ein fauler Zecher – sie beide aber leeren zur selbigen Stund – auf Euer Wohl den Becher» erinnern sehr an die Poesie der Studentenverbindungen, geben dem Ortshistoriker aber kaum Aufschluss über Leben und Werk ihrer Verfasser. Immerhin sind die Verse mit ausgezeichneten Aquarell-Skizzen illustriert – leider in der Kopie nur schwarz-weiss. – Ein Detail aus jenen Tagen verrät uns das Hüttenbuch aber doch. Es wird nämlich berichtet, dass Minna von Barnhelm und Alb. Lienhard (mit Sicherheit unser Schreiner) ihre Verlobung durch «Notar F. Dangel» anzeigen, und zwar datiert mit «Weesen, 9. März 1924». Damit sind immerhin Zeugen für die sozialen Umstände gegeben. Mit dem Notar F. Dangel kann auch niemand anderer gemeint sein als Fridolin Dangel, der Architekt; wer indessen sich hinter der Lessing’schen Titelfigur verbirgt, ist nicht verbrieft.

Aquarell aus dem Hüttenbuch, Maler nicht namentlich bekannt, aber technisch ambitioniert. Es zeigt den Tour-Kollegen, der angesichts der Kälte draussen die Skihose «montiert». Um 1928.
Akribische Alltagsgeschichte aus Wollishofen in den 1930er Jahren
Informativer wird das Hüttenbuch im Jahr 1928. Hier wird der erste echte Reisebericht eingefügt – eine grössere Tour über den Oberalp-Pass nach Meierhof (Obersaxen). Konkret wird ausgeführt: «In der wassergesegneten Olympiawoche* des Jahres 1928 fuhren am Samstag Skiklübler nach Andermatt. Das waren Hermann Schudel, Karl Lutz, Max Benz, Eugen Kordeuter, Otto Isler. Unverzüglich und unentwegt stapften sie bei tiefem Neuschnee und stockfinsterer Nacht auf die Passhöhe des Oberalp, pflegten sich gut und ruhten prächtig mit grossen Hoffnungen auf die kommenden Ereignisse.
Der Sonntagmorgen sah das Grüpplein in noch tieferem Neuschnee am Bahnhof rechts vorbei Richtung Disentis die Skier mühsam talwärts schieben. Nach zwei Stärkungen in Sedrun und Disentis brachte sie das Züglein nach Waltensburg, von wo wieder in finsterer Nacht der Aufstieg durch den Wald nach Meierhof angepackt wurde. Gegen elf Uhr nachts waren alle einquartiert im guten Gasthof oder bei noch besseren Nachbarsleuten.» Damit haben wir schon erste Klarheiten erreicht, denn wir können mehrere Personen identifizieren, wir sehen erneut Max Benz (Sattler und Tapezierer sowie Sieger der Rennen von 1924 und 25), neben ihm ist später vor allem Otto Isler von Interesse, weil er die meisten Reise- und Ausflugsberichte verfasste – und auch ein geübter Zeichner war.
Wir tauchen in eine andere Welt ein, in ein Skifahren, das ohne Felle nicht denkbar war – Skilifte waren noch völlig unbekannt. Wir werden konfrontiert mit körperlichen Strapazen, die wir heute kaum mehr kennen. Die Obersaxner Tour blieb von schlechtem Wetter begleitet. Das Wasser war überwältigend, es wurde beschlossen «den Rückzug anzutreten». – Wie eine Wiedergutmachung der Obersaxner Expedition 1928 liest sich hingegen der Bericht von Schudel über eine Wiederholung des Vorhabens im Februar 1930. Diesmal war der nächtliche Aufstieg von Andermatt her vom Wetter her begünstigt, auch gab es eine super Loipe (Spur), weil eine Zürcher Kompanie vorher den Aufstieg gemacht hatte. Nach gut verbrachter Nacht erklomm man am nächsten Tag den Palot 2313m. «Von da bei herrlichem Wetter Abfahrt nach Rueras, Sedrun. Da wenig Schnee lag, war die Fortsetzung der Reise per Bahn bis Tavanasa vorzuziehen.» Es folgt der Aufstieg nach Obersaxen; dann das gesamte Wochenprogramm. Zum Schluss: Lob aufs Wetter, aber Tadel, dass das Essen in Obersaxen «nicht mehr so gut wie früher» gewesen sei, unvergessen offenbar ein «famoser Schweinsrücken», den man im Jahr 1928 geniessen konnte!!
Ein erstes Abfahrtsrennen, das im Hüttenbuch protokolliert wird, fand anfangs März 1930 auf der Holzegg statt. Für uns Nachgeborene ist wichtig, dass 1930 der Sieger nicht mehr Max Benz hiess. Zitat: «Gut beschickt, etwa 16 Mann! Rennstrecke Brünnelistock-Holzegg. Der erste wurde nicht der Benz, sondern Paul Ruckstuhl, der den Rekord mit 11 Minuten 9 Sekunden innehält.» Ruckstuhl war dann auch in der Folgezeit einer der treuesten Teilnehmer an den Reisen: Im Zürcher Adressbuch können wir ihn identifizieren: Paul Ruckstuhl-Spengler, Malermeister, Renggerstrasse 71.

Über Unfälle wird im Hüttenbuch wenig berichtet. Ein Hinweis auf solches bietet aber ein Foto von Max Benz – er mit dem Bein im Gips. Aber Solidarität und Loyalität geboten es wohl, auch mit geschientem Bein beim Hüttenleben dabei zu sein. Vielleicht erklärt der Beinbruch ja auch die abfallende Leistungskurve des frühen Seriensiegers Max Benz!
Max Benz mit Gips vor Skihütte. Foto in Privatbesitz.
Papier ist geduldig, ein Blogbeitrag auch. Gleichwohl wollen wir nicht übertreiben. Das Hüttenbuch ist dermassen inhaltsreich, dass wir nun einiges weglassen wollen, etwa die «Klubtour über den Kinzigpass» oder auf den «Piz Neer», und auch die «Festspiel-Aufführung im Albisgüetli» (1930). Bei letzterer ist allerdings auf die patriotische Stimmung aufmerksam zu machen – sozusagen ein frühes Beispiel für «geistige Landesverteidigung» der 1930er und 40er Jahre. Otto Stähli, im Hauptberuf «Bankbeamter», wohnhaft Widmerstrasse 46, meint im Begleittext:
«Uns bindet die Liebe zu der schönen Heimat und zu den Menschen, die sie mit uns teilen. Uns bindet unser gegenseitiges Glücksverlangen und unsere starke Friedenssehnsucht. Uns bindet die untrügliche Stimme unserer Bergen, die uns immer und immer wieder an unsere innige Zusammengehörigkeit erinnern.»
Auch die «Tour auf die Schächentaler Windgälle» müssen wir übergehen, wo zur Beteiligung gesagt wird: «Albert Lienhard, P. Ruckstuhl, Hermann Schudel, Jules Varadi und sin Bueb, O. Isler und zwei Gäste Alb. Schneebeli und K. Hermann). Der 10seitige Bericht von Otto Isler – übrigens auch er Bankbeamter – beinhaltet als Reminiszenz den Liedtext «Zogenamboge de Landamme danzed», den die Wollishofer Bergsteiger in einer der besuchten Hütten erstmals im Leben vernehmen! Oh du schöne Zeit vor dem Internet!
Wir überfliegen die Zeit, sei es der Ausflugsort Etzliberg in Thalwil (wohin man als Training im «Dauermarsch» gelangte, und nach «gemütlichem Hock» zurück mit «Alberts Auto» nach Wollishofen zurückgelangte: «9 Mann auf einem 4 Plätzer: 7 innen und 2 aussen»). Dann eine Ferienwoche 1931 in Damüls im Bregenzerwald, eine Klubtour auf den Rümmelistock im gleichen Jahr, ein «Tanzkurs» (!) im Muggenbühl, der allerdings nicht vom Ski-Klub organisiert wurde, und nur Eingang ins Hüttenbuch fand, weil viele Teilnehmer eben Mitglieder waren, und es dazu heisst: «Seither hat’s der Tango allen angetan und sie gehen wöchentlich zu Herrn Roos zur Repetition ins Spinnerhaus.» Später Zeinisjoch im Tirol, Glattengrat, Mutteriberg, Mütterlishorn, Drusberg, mehrere Abfahrtsrennen, und im Januar 1935 eine letzte rapportierte Reise zur Steinbachhütte und ins Hochstuckli, Berichterstatter Werner Zehnder. Zudem: Die letzten Berichte sind nicht mehr handschriftlich, sondern mit Schreibmaschine verfasst – wohl keine Hermes Baby…
Eine spezielle Episode möchte ich noch herausheben: den Bericht über einen «Familienausflug» nach Konstanz am 12. Oktober 1930. Er ist speziell, weil erstmals Ehefrauen erwähnt werden. Zwar wurde der Ausflug völlig verregnet, wie auch die nachfolgende Zeichnung von Otto Isler nahelegt. Doch eben: Man verreiste erstmals nicht als Ski-Sektion, sondern als Verein, vertreten durch die Honoratioren und ihre Frauen. Mit von der Partie waren «der ex-Präsident mit Frau Gemahlin, der Präsident mit Frau Gemahlin, der ex Kassier mit Frau Gemahlin, der Kassier mit Frau Gemahlin, der ex Aktuar mit Frau Gemahlin, der Aktuar ohne Gemahlin, ein Polizist mit Frau Gemahlin, ein Zuckerbäcker mit Frau Gemahlin, ein Elektrobankbeamter mit Frau Gemahlin, ein Maler ohne Gemahlin, ein Pöstler und der Aufschreiber [Berichterstatter] ohne Gemahlinnen, im Ganzen 8 Herren mit und 4 Herren ohne.» Zudem: «Bequemer Reisewagen, sauberes gutes Polster, Winterhalder am Steuer».

Reisecar beim Familienausflug nach Konstanz, im Regen. Zeichner mutmasslich Otto Isler.
Soviel aus dem Hüttenbuch. Es ist ein einzigartiges Denkmal der Wollishofer Alltagskultur aus den 1930er Jahren.
Bezüge zur Zunft Wollishofen
Doch etwas gilt es schliesslich noch anzufügen: den Bezug des Ski-Clubs zur Zunft Wollishofen.
Wie genau die Integration einer ganzen Gruppe von Ski-Clüblern in die Zunft abgelaufen ist, kann nicht mehr rekonstruiert werden. Tatsache ist aber, dass einige der Ski-Clübler in jenen Jahren zur Zunft kamen. Albert Lienhard sen. dürfte dabei den Türöffner gespielt haben – er war der Zunft schon 1922 beigetreten. Zudem war er nicht nur etwas älter als seine Club-Kollegen, er war in gewisser Weise auch «arrivierter», seine mit den Brüdern geführte Schreinerei war damals bereits ein grösseres Unternehmen mit zahlreichen Angestellten, und er verfügte 1930 offenbar auch als Einziger über ein eigenes (geräumiges) Privatauto. Lienhard wurde kurz vor 1930 auch freisinniger Gemeinderat (wo er über 25 Jahre amtete!). Jedenfalls fand auch Alfred Binggeli, der 1929 nach Wollishofen kam, den Kontakt zu seiner neuen Heimat zuerst durch die Ski-Sektion, und dann durch Eintritt in die Zunft (1948). So hat das kopierte Hüttenbuch den Weg in die Gegenwart über Vater und Sohn Binggeli gefunden.
Ski heil!
Ich danke Dorli Lutz (Tochter von Max Benz) sowie den Zünftern Hansruedi Lienhard und Richard Binggeli für Auskünfte und Unterlagen.
Sebastian Brändli
PS
Dank dem Ski-Club-Blogbeitrag ist noch ein Pokal aus der Tiefe der Geschichte aufgetaucht. Dieser wurde in der Familie des langjährigen QV-Kassiers Martin Fischer gehütet, und kann nun als Schlusspointe aufgetischt werden! Vielen Dank!
Siegerpokal Ski-Rennen S.C.W. errungen von Paul Ruckstuhl-Spengler 1931. Privat.
* Olympische Winterspiele 1928 in St. Moritz.








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