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AutorenbildSebastian Brändli

ZUNFT WOLLISHOFEN

Aktualisiert: 15. Juni 2023

Im Alten Zürich machten die Zünfter 100 Prozent der Stadtbürger aus. Will heissen: Alle männlichen Stadtbürger waren Mitglied einer Zunft. Es gab die Constaffel und die historischen Zünfte. Sein Bürgerrecht nahm der Stadtbürger über seine Zugehörigkeit zur Zunft wahr, die Regierung wurde – mindestens teilweise – über die Zünfte bestellt und auch kontrolliert. Zünfte waren Teil der Republik Zürich, sie waren Berufsverbände, aber sie waren auch «demokratische Zellen».*


Heute sind Zünfte private Vereine, teils in Fortführung der historischen Zünfte, teils als neue Verbindungen, vor allem als Vertretung der in der Stadtvereinigung zu Quartieren umgewandelten Vororte. In Wollishofen, 1891 in Gross-Zürich eingemeindet, gründeten 1899 einige Männer die neue Quartierzunft. Als Zunftlokal wurde der Hirschen an der Seestrasse (heute 346) gewählt, der auch über einen Festsaal verfügte. Hier trafen sich die Zünfter zu Versammlungen und Festen, insbesondere auch am Sechseläuten. Die erste Belegschaft der Zunft Wollishofen war noch sehr mit dem Quartier verbunden.** Am 18. Januar 1900 trafen sich 25 Männer zur ersten Versammlung der Zunft Wollishofen:

  • 9 Landwirte

  • 6 Gewerbler

  • 5 Wirte

  • 4 Angestellte und Beamte

  • 1 Architekt

Ihre erste Zusammensetzung war – der Wirtschaftsstruktur Wollishofens geschuldet – noch sehr ländlich. Die Kommission, die die Zunftgründung vorbereitete, bestand aus lauter Bauern. Diese hiessen alle Hausheer: August Hausheer, Gottfried Hausheer, Heinrich Hausheer***! Doch auch das Quartiergewerbe – die Handwerker – war schon früh sehr gut vertreten. Mit den Landwirten dürften prozentual am stärksten übervertreten auch die Wirte gewesen sein...


Die Gründung war in gewisser Weise immer noch Protest gegen die ungeliebte Integration Wollishofens in Gross-Zürich. So hatten die ersten Zünfter zu geloben, «die Eigenart ihres Dorfes gegen die sich rasch ausbreitende Stadt so weit als möglich zu erhalten». Später änderten sich die Zusammensetzung ebenso wie die verbindende stadtkritische Ideologie. Der Anteil der Bauern am Mitgliederbestand ging parallel zum Rückgang des bäuerlichen Gewerbes zurück, der Anteil an Selbständigerwerbenden – Ärzte, Juristen – sowie weiterer «Studierter» nahm zu. Die Landwirte starben gar bald aus – ebenso verschwand der Name Hausheer bald ganz von der Bildfläche. Relativ stark blieb aber vorderhand der Anteil des (lokalen) Gewerbes. Diese Verbindung mit dem Quartier ist auch heute noch zu erkennen, auch wenn sich der lokale Bezug nochmals abgeschwächt hat. Generell dürften in den Zünften Zürichs heute diejenigen, die in der Stadt wohnen, in der Minderheit sein. Wenn Zünfte noch eine politische Rolle spielen, so sicher nicht mehr als demokratische Zellen der Stadt, sondern allenfalls noch als Verbindung bürgerlicher Männer, die einen Bezug zu Zürich haben und in der Stadt oder in der Agglomeration Zürich zuhause sind.


Entsprechend hat sich in der Zunft Wollishofen auch die Verteidigungshaltung gegenüber der Stadt gewandelt. Mit dem zunehmenden Kontakt zu andern Zünften wurde die gemeinsame Überzeugung aller Zünfter auch für die Wollishofer wichtiger. Das bedeutete «geistige Landesverteidigung» während den Krisen der 1930er und 40er Jahren, das Hochhalten einer «Bürgerlichkeit», die teils politisch, teils aber auch eher kulturell gemeint war. Das war vor allem bei der Rekrutierung neuer Mitglieder von Bedeutung, wo die alten Kriterien sich zugunsten eines Hauptkriteriums abschwächten: Wichtig war für Neumitglieder, dass sie die «gesicherte Verankerung der Zunft im angesehenen Bürgertum von Wollishofen und Leimbach» realisieren wollten und konnten. In der Schrift zum 100jährigen Jubiläum formulierte der Zunftmeister, Paul Schmid, seine diesbezüglichen Wünsche sehr offen: «Die Zünfter mögen bei der Förderung vaterländischen Geistes den Blick auch nach vorne richten!»


Zunft Wollishofen beim Hafen Enge. 1975. Sammlung MZ.


Auf der Aufnahme von 1975 beim Hafen Enge sind 111 Personen aufgenommen, nicht alles Zünfter, aber fast alle. Es war Sechseläuten, und die Ehrengäste, unter ihnen der Luzerner Stadtpräsident Meyer, waren auch auf dem Klassenfoto. Auch zwei junge Zunftsöhne sind unten rechts zu erkennen, neben ihrem Vater. Doch die verbleibenden über hundert Männer waren Mitglieder der Zunft, einer Zunft, die sich 75 Jahre zuvor als «Heimatverein», als Truppe, die die kulturelle und emotionale Unabhängigkeit von der Grossstadt auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Von dieser Pionierauffassung war schon 1975 nicht mehr allzu viel zu spüren. Viele der Zünfter wohnten noch in Wollishofen, aber nicht mehr allzu viele arbeiteten auch hier. Immerhin gab es noch Metzger, Spengler, Schreiner, Garagisten u.a.m., die ihr Gewerbe in Wollishofen ausübten.


Heute – rund 50 Jahre später – ist die Welt schon wieder eine andere. Vom Gründergeist der Wollishofer Quartierverteidigung ist die Zunft nochmals ein Stück weit abgerückt. Nur noch eine Handvoll Zünfter wohnt noch – oder wieder – in Wollishofen. Das ist an sich nicht Erstaunliches – wir zügeln ja ab und zu, und die Söhne (und Töchter) entfernen sich halt oft vom Wohnort der Eltern, sei es wegen Ausbildung, wegen Beruf, wegen Heirat u.a.m. Dann ist es ja schön, wenn wenigstens die Zunftzugehörigkeit die Anhänglichkeit ans Quartier der Kindheit, an die «Heimat», weiter unter Beweis stellt.


Auf dem Zunftfoto 1975 sind übrigens (mindestens) zwei spezielle Familiensituationen zu erkennen. Einmal ist mit Robert Job und seinem Schwiegersohn Werner Attinger eine Zweigenerationenen-Konstellation vorhanden, die mit dem Enkel Jobs, Andy Attinger, Malermeister, zur Familienvertretung während dreier Generationen führt. Ähnlich auch August Traber sen., der mit Sohn August Traber jun. als Zünfter erscheinen, aber hier ist die nächste Generation wenigstens schon auf dem Bild (wenn auch noch nicht Zünfter, die beiden Buben unten rechts!!). August Traber sen. (als Altherr auf dem Wagen sitzend, ganz rechts) war Metzgermeister und Besitzer der Metzgerei am (heutigen) Wollishoferplatz. Er war ein früher Vertreter der katholischen Konfession, der in die Zunft aufgenommen wurde. – Als nächste fundamentale Änderung steht wohl die Aufnahme von Frauen als eigenständige Zünfterinnen an!


Es ist kein Donnerndes Hellau, sondern ein währschaft-seebüebisches Grüezi, das Zünfter heute ihren Zeitgenoss:innen zurufen! Wir wünschen, dass die galoppierenden Wollishofer bald wieder einmal – pandemiebedingt – unter normalen Verhältnissen ihr Sechseläuten feiern können!


(SB)

 

* Inkl. Milizorganisation des Zürcher Militärs. Neueste Veröffentlichung zu diesem Thema: Regula Schmid. Mit der Stadt in den Krieg. Der Reisrodel der Zürcher Constaffel. Zürich 2022.

** Geschichtliches hauptsächlich aus zwei Schriften: 75 Jahre Zunft Wollishofen (1975) sowie 100 Jahre Zunft Wollishofen (1999).

*** Zu den Hausheeren: August, Kalchbühlstr. 49. Gottlieb, Kalchbühlstr. 21. Heinrich, im Horn.


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