Die Albisstrasse war schon einmal einen Blog wert (ALBISSTRASSE)! Sie durchquert Wollishofen schwungvoll, sie ist aber stark verkehrsbelastet – trotz aller Umfahrungen um Zürich herum –, und sie ist der Lebensnerv des Quartiers, nur schon wegen der Tramlinie 7. Wo das Tram fährt, ist Stadt. Das gilt besonders für Wollishofen.
Die Konzeption der Albisstrasse als Zubringer zum Albispass, Wollishofen durchquerend von der «Bachstrasse» zum «Morgental», durchs «Unterdorf» und durchs «Oberdorf» zur langen Gerade in Richtung Adliswil, stammt aus den 1830er Jahren, realisiert noch vor 1845. Im Alten Zürich galt das Moos in Wollishofen als unbezwingbar; jedenfalls beschloss der Rath 1693, «es solle der Fussweg von Adlischweil über das Moos nach Wollishofen niemals zu einer Fahrstrasse eingerichtet werden» (zitiert nach «Aus den alten Chroniken», 1845, S. 3, Hervorhebung SB).
Die schwungvolle Anlage der Albisstrasse wurde bereits begeistert beschrieben, weniger schwungvoll ist dann die «lange Gerade» gegen Adliswil. Vom Oberdorf her führt die Strasse mehrere gefühlte Kilometer schnurstracks und pfeilgerade gegen Süden. Dieses Gebiet war im Alten Wollishofen Sumpfgebiet – nicht umsonst heisst die Parallelstrasse noch heute Moosstrasse. Das «Moos» verhinderte eben lange Zeit eine sinnvolle Ver-bindung ins Sihltal hinüber. Entweder war der Moräneausläufer via Butzenstrasse zu überqueren, oder man blieb beim Kilchbergsteig auf der Alten Landstrasse, um später, ausserhalb Wollishofens, den Hügel zu passieren. Das war «verständigen Männern» um 1800 ein Dorn im Auge. Die «bürgerliche Abendgesellschaft» – später Lesegesellschaft – nahm das Problem schon kurz nach 1800 auf und startete ein Projekt, die Durchquerung des Mooses durch eine neue Strasse zu ermöglichen. Richtig Erfolg hatten sie allerdings nicht – die neue Albisstrasse musste nochmals mindestens 30 Jahre warten!
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Albisstrasse also endlich nicht mehr Sackgasse, sondern Transitachse für die Reisenden von Zürich in die Innerschweiz. Diese Passantenlage versprach neue wirtschaftliche Möglichkeiten. Die Entwicklung der Strasse im Bereich von Unter- und Oberdorf Wollishofen zeugt von diesem Optimismus!
Die Postkarte unten ist ein diesbezügliches Schmuckstück – mit einigen Überraschungen. Im Zentrum steht die Albisstrasse, ein Abschnitt mit zahlreichen neueren und älteren Häusern, um 1900. Links sehen wir den Eingang zur Ziegelstrasse – schon mit den heute noch stehenden Gründerbauten. Gegenüber ist heute der Parkplatz mit dem grossen COOP. Damals war hier aber das alte Zentrum des «Oberdorfs» mit der alten Kalchbühlstrasse – damals alles noch erhalten! Wir erkennen insbesondere das uns von einem früheren Blog her bekannte «Lavaterhaus» mit dem auskragenden Obergeschoss («HOCHHAUS»). Wir erkennen auch, wie schmal die Albisstrasse damals war – da mussten einige alte Bauten verschwinden, um den wachsenden Verkehr in die und von der Stadt aufzunehmen. Dazu brauchte es die heutige Strassenschlucht. Hübsch ist der Telefonmast! Von denen gibt es heute auf Wollishofer Gebiet nur noch wenige! Und nur noch wenige dienen der ursprünglichen Funktion! – Hübsch sind auch die Menschen, die bei der damaligen Auflösung halt nur schattenhaft erkennbar sind.
Wollishofen, Albisstrasse. Sammlung MZ. Gelaufen am 5. März 1911.
Der grösste Teil der Vorderansicht ist aber gar nicht Wollishofen gewidmet, sondern dem lieben Geld! Es ist ein reicher Geldregen abgebildet – Schweizer Bargeld, einmal Münzen, die seit 1850 national vereinheitlicht als Franken und Rappen daherkommen. Erstaunlich ist, dass 1911, als die Karte beschrieben und verschickt wurde, noch kantonale Banknoten abgebildet sind, wo doch die Nationalbank 1907 ihre Tore öffnete. Diese druckte aber nicht sofort nationale Noten, sondern erst 1911! In jenem Jahr kam die erste Serie nationaler Banknoten heraus, mit dem «Holzfäller» von Ferdinand Hodler als Motiv. Das hätte auch einen schönen Rahmen für unsere Karte gegeben...
Wollishofen, Albisstrasse. Rückseite. Sammlung MZ. Gelaufen am 5. März 1911.
Betrachten wir noch kurz die Rückseite der Postkarte. Der Schreiber hiess Joseph Speck. Dessen Name erscheint aber nicht als Unterschrift am Ende seines Textes, sondern auf der Vorderseite! Speck schreibt einer «Mademoiselle» nach Paris, sie heisst Hélene Angremy. In herrlich alemannisch angehauchtem Französisch werden wichtige Nachrichten vermeldet: Dass er, Joseph, jetzt zuhause sei, dass er Militärdienst leisten wolle, dass er sich gut fühle und dasselbe für die Chère Mademoiselle hoffe und annehme! «Ma chère» als Anrede, aber Joseph siezt die gute Helene!
«Zurich le 5 Mars 1911. Ma chère. Je suis maitenant à la maison. Je veux faire la service militaire. Je me trouve très bien ici et je pense la même de vous. Beaucoup de salutation!»
(SB)
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