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BRANDSTIFTUNG IM ENTLISBERG

Über Jahrhunderte waren die Wälder auf den Höhen des Entlisberges ein wichtiger Faktor der bäuerlichen Wirtschaft Wollishofens. Das änderte sich im 19. Jahrhundert: Die Landwirtschaft wurde intensiviert, und der Wald mehr und mehr zum Freizeitort. Auch der Unterschied zwischen Privat- und öffentlichem Wald verlor sich zusehends.


Cevi treibt Sport


Ein kleiner Mosaikstein in der Geschichte des Entlisberger Waldes begann 1914. Damals pachtete der CVJM Zürich (Christlicher Verein Junger Männer, Cevi) ein Stück Wiese am Waldrand als «Spielwiese Entlisberg» und nutzte sie rege: Bereits zuvor, 1911, war mitten in der Stadt Zürich das CVJM Zentrum Glockenhof mit angegliedertem Hotel eingeweiht worden. Es war die Idee, dass die jungen Leute, die dort ein- und ausgingen, sich auch körperlich betätigen sollten: Man traf sich deshalb im Sommer jeden Sonntag zum fröhlichen Beisammensein, es wurden Getränke und Verpflegung angeboten. So sah man jeden Sonntagmorgen einen Cevi-Leiter einen Zweiräder-Karren mit Getränken und Esswaren nach Wollishofen schieben, und die Jugendlichen und jungen Erwachsenen konnten sich im Entlisberg bei Spiel und Sport austoben.


Innerhalb des CVJM Zürich war eine Pfadfinder-Abteilung gegründet worden (Gloggi-Pfadi), welche auf dem Entlisberg am Waldrand eine eigene Hütte bauen durfte: das «Eigewärch». Zudem hatte die Turnersektion des CVJM eine Bocciabahn erstellt.






Foto: Gloggi Pfadi Zürich



1918 dichtete die Vereinszeitung anlässlich der Einweihung der Hütte:

"Im Glockenhof, dem schönen Haus Geh'n wir zwar fröhlich ein und aus, Doch sicher wird den Buben allen Weit besser dieser Bau gefallen. Warum? Mein Lieber merk, S'ist weil es eben e i g e n W e r k"











Foto: Cevi Zürich


Gemäss Chronik «100 Jahre Glockenhof»* fanden Haus und Areal im Entlisberg grossen Anklang, nicht nur die jungen Leute, sondern auch die älteren Männer vom CVJM mitsamt ihren Familien verbrachten Sonntage in Wollishofen. Im Winter wurde in der Hütte Wald-Weihnacht gefeiert.


Wollishofer Waldbesitzer Hausheer

Der Besitzer der an den CVJM verpachteten Wiese war der Wollishofer Landwirt Albert Hausheer (1852-1935) – mein Ur-Ur-Grossvater! Er lebte im Baumeister-Haus an der damaligen Tannenrauchstrasse (heute Simmlersteig 18). Dass Hausheer Beziehungen zu städtischen christlichen Werken hatte, wissen wir aus meinem Blogbeitrag vom Karfreitag 2023. Zu diesen christlichen Werken gehörte offenbar auch der CVJM Zürich. Die Pacht wurde nach seinem Tod von Ehefrau und Töchtern fortgeführt.


Diese zunächst nur geschäftliche Beziehung hatte in der Folge familiäre Auswirkungen. Der Verwalter vom «Gloggi», mit Namen Ernst Kradolfer (1884-1945), hatte die Aufgabe, regelmässig beim Verpächter vorbeizugehen, um den Pachtzins in bar zu entrichten. Bei dieser Gelegenheit lernte der ledige junge Mann die Töchter des Albert Hausheer kennen. Und so läuteten im Herbst 1918 die Hochzeitsglocken für Amalie und Ernst Kradolfer-Hausheer! Zur Zeit der Hochzeit wütete die Spanische Grippe, daher mussten die Hochzeitsgäste im Restaurant jeweils einen Stuhl leer lassen, um Ansteckungen zu verhindern. Interessantes Detail für wollipedia: Die Familie Kradolfer wohnte ab 1931 als Erst-Mieterin eines Häuschens im neu erbauten Raindörfli!


Im zweiten Weltkrieg wurde die «Spielwiese Entlisberg» als Anbaufläche genutzt. Nach dem Krieg nahm der Glockenhof den Gedanken eines Spielplatzes nicht mehr auf. Was aber weiter dort stand, war die Pfadihütte. Im Jahr 1959 brannte die Hütte aber ab. In den Glockenhof-Protokollen ist vermerkt, dass es Brandstiftung gewesen sei.


Die Hütte im Wald existiert nicht mehr, und auch die Spielwiese Entlisberg ist Geschichte. Gleichwohl sind die Gloggi-Pfadi wie auch die jungen Leute im Cevi-Zentrum Glockenhof weiterhin aktiv. Es ist indes eine Seltenheit, dass eine Pfadi unter dem Dach eines Cevi tätig ist: Wer sich in der Szene der Jugendverbände auskennt, reibt sich verwundert die Augen – der historische Hintergrund erklärt jedoch diese Struktur, die sich bis heute bewährt! Aktiv ist auch die «Stiftung zum Glockenhaus», die das Zentrum und das Hotel Glockenhof vereint.



(UH)

 

* Verankert im Zentrum von Zürich: 100 Jahre Glockenhof Zürich, ISBN 978-3290175856, 2011


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