ODER: DIE ALLGEMEINE VERSCHÖNERUNG
Der Verschönerungsverein Zürich wurde 1873 gegründet. Die Initiative kam von den Hängen des Zürich- und des Adlisbergs. Offenbar wurde dort der Verschönerungsbedarf am stärksten gefühlt. Die «fünfzehn Naturfreunde», die im Juli jenes Jahres auf der «Platte Fluntern» den Verein aus der Taufe hoben, waren hauptsächlich aus Fluntern und Hottingen, der erste Präsident, Heinrich Rüegg-Rinderknecht, amtete privat als Posthalter und war Gemeinderat der Gemeinde Fluntern. In den Statuten der Gesellschaft konnte man denn auch lesen, dass man sich zunächst auf den Zürichberg konzentrieren wolle, dort sollte die Zugänglichkeit der Natur verbessert, die schönen Aussichtspunkte inner- und ausserhalb des Waldes identifiziert und markiert werden. Man wollte Wegweiser aufstellen, die zu diesen schönen Orten hinführten, und natürlich wollten die berühmten «Bänkli» platziert und angeschrieben werden. Eine wichtige Aufgabe war es auch, zusätzliche Informationen zu beschaffen und den Wanderwilligen zu präsentieren: Exkursionskarten, Panoramen, eine Liste der «empfehlenswerten Wirtschaftslokalitäten» sollten das Auffinden der natürlichen Pracht in Verbindung mit einer gastronomischen Erfrischung erleichtern. «Das Interesse für Naturschönheit und Mehrung des Sinnes für Schonung und Unterhalt gemachter Anlagen gegenüber einer rohen Zerstörungssucht» wollte geweckt werden, so der Chronist des Vereins in der Festschrift für das fünfzigjährige Jubiläum.*
Wollishofen war bei der Gründung nicht aktiv. Und in den ersten Jahren findet sich auch im Vorstand des Vereins nicht nur kein Wollishofer, sondern auch kein anderer Vertreter aus den linksufrigen Seegemeinden bzw. -quartieren. Generell fällt auf, dass sich der Verschönerungsverein ausschliesslich auf erhöhte Schönheiten auf und an Bergen und Hängen konzentrierte, und dem See und seiner Faszination kaum Aufmerksamkeit schenkte. Aber auch bei den hügeligen Schönheiten stellte sich bald die Frage: Hatte man auf der linken Seeseite keinen Bedarf für Verschönerung? Weil alles schon so schön war? Oder weil sich die Mühen des Vereinszwecks bei den Quartieren der Silberküste nicht lohnten? War das Potenzial nicht vorhanden? Oder hatte man hier einfach keine Angst vor der «rohen Zerstörungssucht»?
Die ersten Wandervorschläge für Wollishofen kamen indessen schon vor der Gründung des Verschönerungsvereins auf. Der Historiker Johann Jakob Hottinger und sein Kollege Gottfried von Escher gaben 1859 einen Stadtführer heraus, der die einzigartige Lage Zürichs am See mit Blick auf die Alpen zum Thema machte und zahlreiche Sehenswürdigkeiten Zürichs, inklusive Wandervorschläge, benannte. Betreffend Wollishofen schreibt der Führer: «Einer der anmuthigsten Spaziergänge führt über Wollishofen und Kilchberg nach dem Nidelbad oberhalb Rüschlikon (1.5 Stunden). Überall öffnen sich auf der ältern, obern Strasse die herrlichsten Aussichten, namentlich bei den Häusern ‚auf Brunnen‘ nächst Kilchberg. [...] Den Rückweg kann man über Rüschlikon, auf der untere Seestrasse, oder mit dem Dampfboote machen.»
Wann wurde Wollishofen zum Thema des Verschönerungsvereins? Erst der dritte Präsident brachte den Durchbruch. Er wohnte in der Enge – es war der uns bekannte Dr. Conrad Escher, der Jurist und Historiker, der zahlreiche Stadtquartiere historisch beleuchtete und 1906 seine Wanderungen durch Wollishofen in der Zürcher Chronik publizierte. Er war Präsident des Verschönerungsvereins von 1892-1912, unter seiner Führung weitete der Verein seine Tätigkeit auch auf das Albisgebiet und das Sihltal aus – und auf den Entlisberg!
Burg Manegg und ein Parkwald
Historisch wertvoll auf unserer Seite des Sees war aus Sicht der Verschönerung der Begriff «Manegg» – natürlich die Burg, die Veste Manegg, auf dem Sporn vor der Fallätsche, von der wir heute nur noch das Areal und einige Fundamente erkennen. In der Geschichte spielte die Burg Manegg aber eine wichtige Rolle, gerade in Verbindung mit der Stadt Zürich. Wichtige Burgherren waren auch Bürger der Stadt, so mehrere Rüdigers von Manesse, die ihren Stadtsitz teils noch im Geschlechterturm an der Münstergasse, oder bereits im sog. «Steinhaus» oben an der Kirchgasse hatte. Den historischen Kraftort, wo die Burg einst stand, hatte der Verschönerungsverein früh entdeckt und verschönert. Vereinschronist Gossauer genoss beim Verfasser seiner Festschrift das Eintauchen in die Jahrtausendgeschichte sichtlich, um dann – den Albis herunterwandernd, über Leimbach – nach Wollishofen zu kommen. Er schreibt: «Von Leimbach geht die Strasse über die schön geschwungene Maneggbrücke zum städtischen Waisenhaus Entlisberg hinauf. Dort beginnt das Gebiet, das 1896 ins Arbeitsfeld des V.V. einbezogen wurde. Es ist der breite Moränenrücken des Entlisberges, der sich zwischen Wollishofen und dem Sihltal ausbreitet.» (S. 91)
Realisierung des Parkwaldes?
Blick vom Höckler auf Stadt und Wollishofen.
Foto SB (8.10.2023).
Es war das Ziel des Vereins, diesen Moränenausläufer als stadtnahen «Parkwald» auszugestalten. Dass wir das richtig sehen: Damals, um die Wende zum 20. Jahrhundert, war nicht der Entlisbergwald selber das Objekt der Veränderung, sondern das «alpähnliche» Allmendgebiet der heutigen Frohalp- und Entlisbergstrasse. Der Wald selber war hauptsächlich noch in Privatbesitz. So plante man etwa einen Spielplatz dort, wo später (1912) die Baugenossenschaft «Bergdörfli» entstand. Dazu schreibt die Chronik: «Das Stadtforstamt erteilte die Bewilligung zur Anlage eines Spielplatzes. Leider unterblieb die Ausführung, weil der Platz infolge der Überbauung (Bergdörfli) hiefür unbrauchbar wurde.» Doch schliesslich setzte man sich Ziele auch im Entlisbergwald: «Vom Friedhof Manegg bis zu letzten Aussichtspunkt, dem Entlisbergkopf (490m) breitet sich ein weites Wegnetz aus, an dem besonders 1902 und 1903 viel gearbeitet wurde. Zwei Jahre später baute man ein Weglein nach der Sihlseite an die Bruchstrasse, um bequem die Maneggbrücke zu erreichen.» Nach 1900 – als die Wohnbautätigkeit mehr und mehr auch diese bergige Gegend erreichte, konzentrierte man sich dann stärker auf die Pflege des Waldes, auf dessen durchgängige Erschliessung durch Wege. Man war aber nicht vollends überzeugt von seinem Eifer (November 1907): «Das Gebiet wird sehr wenig besucht, vielleicht wäre es besser, solch einsame Gebiete nicht zu erschliessen wegen Strolchen und Angriffen usw. Andere sagen das Gegenteil: mehr Wege, mehr Besucher! Schliesslich wurde mehrheitlich beschlossen, den Berg noch mehr zu öffnen, wobei erwartet wird, die Stadt werde für vermehrte öffentliche Sicherheit sorgen. […] Um die etwas ‚schlüpfrigen‘ Wege trocken zu legen, wurde im gleichen Jahr ein ganzes Ledischiff (50 m3) Sand und Kies verwendet, der Entlisbergkopf in guten Zustand gebracht, die Bänke erneuert, das Geländer über dem imposanten Steilabfall zur Sihl ergänzt.»
1924 konnte die «günstige Gelegenheit» der neuen Wasserleitung vom Sihltal zu den Filteranlagen der Stadt benutzt werden, um «auf dem Entlisbergkopf ein Brünnlein» zu erstellen, «zu welchem die städtische Wasserversorgung unentgeltlich zwei Minutenliter Wasser liefert. Wenn die Stadt einst das ganze Waldareal auf dem Entlisberg besitzt, dann wird er wohl zum eigentlichen Parkwald ausgebaut werden und als Gegenstück zum Käferberg viele Besucher anlocken.» Kurz: Man war dann doch zufrieden mit sich selbst, und lobte sich, auch auf der Üetlibergseite Zürichs eine markante Verschönerung erreicht zu haben (S. 93): «So haben wir [Verschönerungsverein] auch auf der Utoseite unser reichliches Mass Arbeit. Neuanlagen, Unterhalt und Änderungen fordern kräftiges Zugreifen und viel Mittel aus der Kasse, aber es erfreut auch manchen Wanderer, wenn er auf wohlgepflegten Pfaden den Staub des Alltags abschütteln und sein Herz am Born der grossen, gütigen Mutter Natur stärken kann.»
«Es erfreut auch manchen Wanderer, wenn er auf wohlgepflegten Pfaden den Staub des Alltags abschütteln und sein Herz am Born der grossen, gütigen Mutter Natur stärken kann.»
Welche Früchte die Bemühungen des Verschönerungsvereins (V.V.) erbracht haben, können wir uns heute, über 100 Jahre später, kaum mehr vorstellen. Zwar freuen wir uns bei kleinen Ausflügen im Naherholungsgebiet noch immer über Bänkli, und wir wissen auch, dass Vereine die vielen Wanderwege, die auch in Zürich in Aussenquartieren noch heute zum «Stadtbild» gehören, pflegen – letztlich alles Bemühungen, die auf den V.V. zurückgehen. Aber eben, die Zeit ist weitergegangen und hat die Welt verändert. Wer wandert heute noch von Zürich aus übers Sihltal nach Gattikon und über Thalwil bzw. den «Etzliberg» nach Zürich zurück. Natürlich mit Ausgangspunkt Wollishofen (vom Depot Albisstrasse aus) – wie weiland Emil Erb, der in seinem Büchlein «Auf Wanderwegen rund um Zürich» (1943) eben diese Route als «Wanderroute 1» vorschlägt? Die automobile Gesellschaft wandert nicht mehr aus touristischen Gründen durch die Vororte der Stadt. Und bis Hirzel würden es heute nur noch sportliche Typen schaffen (gemäss Erb «4 Std. von Wollishofen»). Und auch die «Wanderroute 2», die zum Albisgrat und ins Sihltal führte, hatte Ausgangspunkt Albisgütli, zurück kam man nach Wollishofen: «Die Wanderung wird am Ufer nach links abwärts fortgesetzt bis zur Butzenstrasse, gegenüber Leimbach. Hier nach rechts hinauf erreicht man auf dem Gehsteig den Hesenlooweg, nachher die Lettenholzstrasse und die Tramhaltestelle beim Depot Albisstrasse in Wollishofen». Man merkt: Ohne Auto, alles nur mit ÖV. Tempi passati. Oder doch nicht? Es gibt jüngste Wanderführer, die danach trachten, das ganze Stadtgebiet wandermässig zu erfassen, auch Wollishofen. Zwei solcher Führer sind am Ende des Blogbeitrags aufgeführt.
Höckler
Ein letztes Beispiel der Bemühungen des V.V. gilt dem Höckler – heute auf Leimbacher Gebiet liegend, kulturhistorisch aber zu Wollishofen gehörig. Der Höckler liegt auf dem Weg zwischen der Burg Manegg und dem Entlisberg. Seine Verschönerung kam schon viele Jahrzehnte vor der Gründung des Verschönerungsvereins zur Vollendung. Es heisst nämlich, dass die touristische Bedeutung des Höcklers vor der militärischen im 19. Jahrhundert gezielt geplant wurde. «Damals [um 1800] war der Höckler Spitalgut und es scheint, der Ratsherr Conrad von Meiß, gestorben 1820, als Vorsteher der Spitalverwaltung habe diese Anlagen auf dem Höcklergut errichten lassen.» Dieser Ratsherr, ein ehrenwertes Mitglied der ältesten verburgerten Stadtfamilie Zürichs, war während seines Lebens nicht nur Landvogt von Andelfingen und Ratsherr im ausgehenden Alten Zürich gewesen, sondern auch ein Förderer der Kunst und der Natur. Er erhielt zum Dank für seine Bemühungen von seinen Freunden ein Denkmal gesetzt, das unlängst wieder dem Dickicht des wildernden Waldes bzw. der Vergessenheit entrissen wurde.**
Gedenkstein an Hans Conrad von Meiss. Foto SB (8.10.2023).
«HANS CONRAD VON MEISS, des Raths- und Spitalpfleger, geb. 22. Oktober 1752, gest. 15. May 1820, dem Beförderer alles Edeln und Schönen, dem Stifter dieser Anlagen, von seinen Freunden.»
Noch dies: Wenn wir schon in Leimbach sind – die Fallätsche gehört als Naturdenkmal zu Leimbach, ist von Wollishofen aus aber gut sichtbar, und gehört deshalb auch in die wollipedia-Weltsicht. Das letzte Foto dieses Berichts führt auch zurück zum Staub, allerdings nicht des Alltags, sondern in der Fallätsche...
Proviant-Transport nach der Clubhütte zur steilen Wand, in der Fallätsche (750 m ü.M.). Foto: Emil Egli***, Wollishofen. Sammlung MZ. Gelaufen 13.6.1911.
Sebastian Brändli
* E. Gossauer. Verschönerungsverein Zürich und Umgebung 1873-1925.Zürich 1925.
** Helen Arnet. «Der vergessene schönste ‚Belustigungsort‘ der Stadt». TA 30.8.2023.
*** Emil Jakob Egli, Photograph in Wollishofen, wohnhaft Ziegelstrasse 9 (1910).
Empfohlene Wanderliteratur für Wollishofen:
Illustrierter Wegweiser durch die Stadt Zürich und ihre nächsten Umgebungen, von Johann Jakob Hottinger und Gottfried von Escher. Zürich 1859
Ursula Bauer, Jürg Frischknecht, Marco Volken. Wandern in der Stadt Zürich. Rotpunktverlag. Zürich 2012. Für Wollishofen lese man das Kapitel I sette colli, S. 246-263.
Zürich – einfach wandervoll. Jeder Schritt ein Hit. Werd Verlag. Zürich 2013. Für Wollishofen lese man Etappe 2, S. 50-73.
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